Ein großer Teil des Weges bestand aus reinen Radrouten. Im Kartengeschäft hatte man mir noch gesagt, in Frankreich gäbe es kaum Radwege. Überraschenderweise konnte ich von Mulhouse bis Mâcon auf einer frisch ausgeschilderten, frisch geteerten Route fahren. Die habe ich zwar zwischendurch auch mal verloren, aber über weite Strecken folgte ich einfach den Schildern, die mich am Rhein-Rhone-Kanal entlang bis Chalon-sur-Saône führten.
Man fährt sehr für sich mitten durch die Natur. Die meisten Radfahrer grüßen - ansonsten ist man allein mit seinen Gedanken.
Die Straße ist anders. Da kann man seinen Gedanken nicht immer freien Lauf lassen. Sie ist ein unbarmherziger Ort. Wie viele tote Tiere hab ich gesehen? Einen dick aufgeblasenen Dachs zum Beispiel, diverse Füchse oder Igel, die so oft überfahren worden waren, dass sie aussahen wie ein Stück rundes, sprödes Leder. Gruselig war ein Katze am Straßenrand mitten in Mâcon. Ihr Gesicht war wie der ganze Körper verzerrt und starr, die Lippen gebleckt, die spitzen Eckzähne standen hervor. Ihre offenen Augenhöhlen waren schwarz und leer. So etwas schafft kein Modellbauer beim Film.
Aber ich liebe die Straße. Ich fühle mich dort zuhause. Sie verlangt ständig Wachheit, sie ist ein Lehrer, der nicht mit guten Lektionen geizt. Einige Male passierte es, dass ich gezwungen war, stark befahrene Landstraßen ohne nennenswerten Seitenstreifen zu nehmen. Lastwagen fuhren eine gefühlte Faustbreit an meinen Ellbogen vorbei. Da kann man nicht schludern. Man ist gezwungen, sehr gut aufzupassen. Zum Glück waren diese Strecken nie besonders lang. Dann lieber vierspurig, wo die Autos mit 100 vorbeidonnern: Denn da gibt es meistens ein Randstreifen, auf dem man sich sicherer fühlen kann.
Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein Gefühl für das richtige Tempo. Am Anfang fuhr ich immer wieder viel zu schnell und war abends so im Eimer, dass ich schon um acht Uhr völlig erschlagen dalag. Das ist fatal. Schläft man ein, ist der Nachtschlaf dahin und der nächste Tag ein Graus. Mit der Zeit ließ ich es langsamer angehen. Stetiges Fahren ist das, was einen weiter bringt. Nicht oft anhalten, sondern lieber ein, zwei Stunden am Stück durchziehen in gleichmäßigem Tempo. Dann hat man auch noch ein Auge für all das Schöne, das jenseits der asphaltierten Fahrbahn liegt.