Max Pothmann | Autor | Bühnenbild & Requisitenbau | Köln-Bonn
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18.11.2015

Dem Leben des Tänzers näher kommen


Im Spiegel 44/2015 fand sich unter dem Titel "Qual und Rausch" ein Artikel über die beiden Balletttänzer Joy Womack und Sergei Polunin. Der Artikel ist hier auf englisch zu finden. Die Tanzwelt ist klein und vergleichsweise abgeschlossen. Die große Mehrheit der Menschen hat keine Vorstellung vom Beruf des Tänzers, hat nie Ballett live gesehen, geschweige denn zeitgenössischen Tanz oder Tanztheater.

Gerne würde ich vermitteln können, was für ein Leben man als Tänzer führt. Natürlich kann ich sagen, dass ich während der Ausbildung genausoviel oder mehr trainiert habe, als die meisten Fußball-Profis, aber auch das bleibt vage. Sechs Tage die Woche schwitzen und nach Perfektion streben: Das kann man sich nur schwer vorstellen. Auch ein Buch wie "Dancer" von Colum McCann vermittelt das Lebensgefühl des tänzerischen Alltags nur schemenhaft. Der Artikel von Samiha Shafy entblättert ein Stück weit das Leid und den Druck, dem sich hochklassige Profis aussetzen.

Für mich ist es jetzt ein Jahr her, dass ich meine aktive Arbeit als Tänzer beendet habe. Natürlich war ich von Anfang an in keiner Weise mit Talenten wie Womack und Polunin zu vergleichen, jedoch waren die Strukturen, in denen ich während meiner sechsjährigen Ausbildung gelebt habe, die gleichen. Schwer fiel mir in der Hauptsache das Finden der feinen Linie zwischen dem Streben nach präziser, kontrollierter Technik und dem Sich-gehen-lassen, ohne das lebendiger Tanz nicht möglich ist.

17.11.2015

Der Tastenmann


Der Tastenmann bei der Arbeit. Letzten Freitag spielte er zusammen mit Püppkens & Co im Café Duddel. Das Café Duddel ist ein Institution in der Nähe der Uni-Mensa: Hier treffen sich Menschen im Spektrum zwischen Literaten und Erstsemestern. Hinten durch hat der Laden einen Raum, der sich als Kleinkunstbühne eignet. Was wir nicht wussten: Der gesamte Laden befand sich mitten in einer Renovierungsphase. Das war die charmanteste, schrabbeligste Bühne, auf der ich je gestanden habe. Wobei "Stehen" nicht ganz stimmt: Als Schattenspieler für den Mondmann sitze ich die ganze Zeit. 

Erik Werner alias Der Tastenmann spielt dieses Wochenende von Donnerstag bis Sonntag im Theater im Hof SYMPHONIA, ein Stück über die Figur, die so verliebt ist in die Klaviertaste, dass sie sogar darauf schläft! Das war mein letzter Bühnenbildauftrag: Eine 1,80 Meter große Klaviertaste zu bauen.

08.11.2015

Time Out


Im Sommer fuhr ich mit dem Rad durchs Wendland. Wir zelteten bei Privatleuten, was in der Gegend nicht unüblich ist. Ich zog mir am ersten oder zweiten Tag eine Zecke zu und entdeckte sie erst nach geschätzten 20 Stunden an meinem rechten Schienbein: Da hatte sie sich schon auf doppelte Stecknadelkopfgröße vollgesogen. Ich entfernte sie mit einer Pinzette, hatte nicht einmal das Herz, ihr den Garaus zu machen und warf sie in die Büsche.

Wie ich mittlerweile weiß, saugen Zecken Blut, geben aber das Wasser zurück an den Körper des Wirts: Sie sind nahezu perfekte Energiesparer - sie behalten nur die Nährstoffe. Aus dem Verdauungstrakt der Zecke, durch den das Blut gefiltert wird, können Borrelien, eine Gattung relativ großer, schraubenförmiger, gramnegativer Bakterien aus der Gruppe der Spirochäten übertragen werden. 

Erstes Zeichen: Die Wanderröte. Kreisförmig bildet sich ein roter Ausschlag um den Biss. In meinem Fall fiel sie so klein aus, dass man sie übersehen konnte: Ein Woche lang hatte ich einen roten Fleck von der Größe eines dickeren Mückenstichs, der ebenso juckte, wenn auch etwas ausdauernder. Wir waren ja auf Rädern unterwegs, es kam eine Zeit mit Regen und Kälte, wir bezogen wir ein paar Nächte eine krude Holzhütte in der Mecklenburger Seenplatte, die mir mittlerweile erreicht hatten. Ich betrachtete den roten Fleck einmal genauer im Kerzenlicht, dann vergaß ich ihn.

Zurück in Köln begann erneut der Arbeitsalltag. Es gab viel zu tun mit Barnes Crossing und der Kölner Tanzszene, mit der Werkstatt, mit meiner intensivierten Schreibarbeit. Es fiel mir schwer, mich nach dem Urlaub einzugliedern. Ich war leichter als sonst irritiert, oft müde - auch nach acht Stunden Schlaf und hatte bald das Dauergefühl, gleich krank zu werden. "Du arbeitest zuviel", dachte ich, und weil ich nicht weniger arbeiten konnte, lebte ich zumindest gesünder: Hörte auf, meine Guten-Abend-Zigarette zu rauchen, trank fast nie Alkohol und ging abends um elf ins Bett. Trotzdem war ich morgens gerädert und hatte große Mühe, mich aus dem Bett zu stemmen. Was war los? Was lief falsch? Bedrückte mich etwas? Wenn man sich das fragt, findet man immer etwas, oder nicht?

Acht Wochen nach dem Urlaub, etwa zehn Wochen nach dem Zeckenbiss war es soweit: Ich lief abends von Ehrenfeld in die Südstadt, um einen Freund zum Abendessen zu treffen. Ein dunkler, kühler Herbstabend. Ich bekam Schüttelfrost und leichte Gliederschmerzen. Die hatte ich noch nie gehabt. Schleppte mich durch den Abend, bestellte zu den Tapas von Turista Süd sogar noch ein zweites Glas Wein, beknackte Idee. Fuhr mit der Straßenbahn nach Hause, stieg die Treppen hoch und fiel ins Bett. Am nächsten Morgen war klar: Ich war krank und zwar richtig.

Die nächsten Tage verbrachte ich im Bett. Nachts schwitzte ich drei T-Shirts voll, die Gliederschmerzen blieben noch eine Weile und wurden von Kopfschmerzen abgelöst. Am Freitag Abend sollte eine Generalprobe sein, am Samstag ein von mir inszenierter Auftritt des Kwaggawerks bei der blauen Nacht in Nippes. Beide Termine musste ich schweren Herzens absagen: es ging einfach nicht (und es zeigte sich, wie ersetzbar man doch ist: Der Auftritt verlief bestens). Ich war so kaputt, ich konnte noch nicht einmal Filme gucken. Im besten Fall schaffte ich es, ein paar Kapitel Hörbuch zu hören, dann döste ich für eine halbe Stunde, schwitzte, wachte wieder auf. Am dritten Tag begann ich, Fieber zu messen: Meine Temparatur lag konstant über 38°, machmal stieg sie fast bis 40°. Montags ging ich zu meiner Hausärztin. Die Zecke war noch kein Thema: "Total unwahrscheinlich", war ihre statistisch sicherlich richtige Einschätzung. Sie verschrieb mir ein Standard-Antibiotikum. Ich dachte: Ich habe bestimmt eine Influenza, die wegen meiner Müdigkeit richtig zugeschlagen hat. Die Symptome stimmten jedenfalls.

Nach sieben Tagen war das Fieber noch immer nicht weg. Von der Dauerschlaflosigkeit und den Kopfschmerzen war ich buchstäblich ausgelaugt. Vor meinem Zimmer hing alles voll feuchter Kleidung, weil ich nachts so viel schwitzte. Ich ging wieder zur Ärtzin, die mir riet, mich stationär behandeln zu lassen. Meine Mutter holte mich im Auto und brachte mich an den Niederrhein, nach Kalkar, wo mein Vater im Krankenhaus arbeitet. Das war sicher angenehmer als ein überfülltes, anonymes Kölner Krankenhaus. Nachdem man mich komplett durchgecheckt und erneut Blut für diverse Testes abgenommen hatte, lag ich da. Endlich ein nicht total durchweichtes, klammes Bett. Ich bekam ein Schmerz- und Fieber senkendes Mittel und schlief, schlief, schlief eine Woche lang schlief ich nachts, vormittags und nachmittags und aß zwischendrin die Krankenhaus Mahlzeiten an denen das Beste ihre Regelmäßigkeit war.

Nach einigen Tagen wurde eine Lungenentzündung festgestellt: Wieder bekam ich Antibiotikum. Danach konnte ich noch besser schlafen. Und nach über zwei Wochen Krankeit kam das Testergebnis: Borrelien Antiköper im Blut. Die Zecke hatte mich erwischt. Und damit klärte sich einiges: Ich hatte die "Lyme-Borreliose". Erste Anzeichen nach der Wanderröte: 6-12 Wochen Müdigkeit.

Die Borrelien wurden weiter mit Antibiotkum behandelt. Nach zehn Tagen wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und schlufte weitere fünf Tage durch das Haus meiner Eltern. Das ist jetzt drei Wochen her. Ganz langsam erreiche ich meine volle Arbeitsfähigkeit. Habe sogar schon eine Zigarette geraucht und gedacht: Das könnte ich auch sein lassen.