Max Pothmann | Autor | Bühnenbild & Requisitenbau | Köln-Bonn
Mehr Infos auf meiner Webseite www.maxpothmann.de

28.07.2011

Hackenporsche zum Reinsetzen

That's a car after my taste!

21.07.2011

Impressions of my current location #1

Der Schweizer Bruno Kramer (*1941) hat sich in den letzten 50 Jahren von der klassischen Bildhauerei zu zeitkritischer Recycling-Art bewegt. Im Atelier XYZ bei Narbonne lebt man von seinen und von Dorothee Gassers Werken umgeben.








18.07.2011

Scottish Flyboys

Bild des Tages #9 reloaded.

Hier folgt eine lose Artikelordnung über meine Radreise von Baden-Baden nach Armissan bei Narbonne im Juni/Juli 2011. Nun bin ich hier und schreibe jeden Tag am neuen Buch. Drückt mir einmal kurz die Daumen, dass es so gut weitergeht wie bisher.

Eine letzte Frage gibt es noch zu beantworten:

Wer sind die Scottish Flyboys?

Liam, Duncan, Neil, Gus und Connor kreuzten zwei Stunden südlich von Lyon meinen Weg. Das Rhone-Tal erwies sich als überraschend sonnig und verkehrsarm. Nach sieben Stunden Fahrt suchte ich eine Unterkunft.

Die fünf braungebrannten Jungs, teilweise langhaarig, teilweise mit freien Oberkörpern, sahen nett aus. lch hielt, ganz gegen meine männliche Gewohnheit und fragte, ob flussabwärts bald ein Campingplatz kommen würde. Liam zeigt mir seine usselige Karte von der nächsten Touristen-Information und sagte, es seien noch 8 Kilometer. Ich fuhr ihnen davon (ich kannte die bescheuerten Radwegschranken schon, durch die man mit Satteltaschen nicht hindurchkommt und wollte nicht warten, bis sie herausgefunden hatten, wie man sein Rad am besten drüberhebt).
Später verfranselte sich der Weg und wir begegneten uns erneut. Aber weil der steile Pfad, der von der Brücke zurück auf den Radweg führte, zuviel war für ihre dünnen Rennradreifen, blieben wir nicht zusammen. Aus den 8 wurden 20 Kilometer. Endlich angekommen, hatte ich keine Hoffnung, die Jungs nochmal zu sehen - es gab mehrere Zeltplätze in der Gegend.
Nichts da! Sie trudelten ein, als ich gerade das Büro der netten Besitzerin verließ. Wir campierten nebeneinander. Nach Zeltaufbau, Dusche und Essen half ich ihnen, die 48 Bierflaschen zu leeren, die sie für den Abend gekauft hatten.

Die fünf Jungs waren alle um die zwanzig und bis auf einen (Kellner) Studenten. Sie hatten keine Ahnung vom Radfahren - alle hatten sich ihre schicken, schnellen Drahtesel erst vor der Reise gekauft, sie ins Flugzeug nach Paris gepackt und waren von dort an den Atlantik und anschließend ans Mittelmeer gefahren. Die Hälfte des Abends verbrachten wir damit, praktische Informationen auszutauschen.

An Deutschen fällt mir oft auf, dass sie, wie soll ich sagen, relativ schamlos konkret über Preise von Sachen sprechen. Das macht man, zumal unter Fremden, anderswo seltener. Die Schotten gaben jedoch den Vorurteilen recht: Sie rechneten alles aus. 17 Euro pro Tag waren die durchschnittlichen Kosten für jeden. Sie kochten auch unterschiedliche Sachen für unterschiedliche Geldbeutel. Mit und ohne Fleisch, oder am billigsten: Tütensuppe.

Connor is the one, we blame everything on, war einer der lustigen Sätze, die ich von ihnen lernte.

Als die Frage aufkam, welche Anzahl für eine Reisegruppe am besten sei, sagte Connor nur: Five is bad.

Leider, leider, leider habe ich kein Foto von ihnen gemacht und sie auch nicht eingeladen, bei eventueller Durchquerung Kölns vorbeizuschauen.

17.07.2011

Stationen #2


In Nîmes traf ich Kevin. Er ist von Hannibal Barka fasziniert. Das ist der mit den Elefanten, der vor 2.200 Jahren mit über 50.000 Mann und 37 Elefanten im heutigen Spanien aufbrach, die Pryenäen und die Alpen überquerte, um 19 Jahre lang die Römer im eigenen Land zu bekämpfen. Kevin ging die gesamte Strecke von 1.200 Kilometern in 46 Tagen. Kameraausrüstung inklusive. Hier geht's zu seinem Blog.

Über die Jugendherberge von Nîmes will ich gar nicht viel sagen. Ich empfehle sie uneingeschränkt.

Kevins aktuelles künstlerisches Projekt war das Verfassen von Gedichten, die er bei Spaziergängen auf die Straße warf. Einmal traf er jemanden, der eins gefunden hatte und sich herzlich dafür bedankte.
It made his day. And two poems plopped out of my head, for Kevin the walker:

Nîmes City Stroll

Mistral wind blows
construction site dust
into the streets

curly haired sunglasses
drop down my face

tiny footprints of bullfighters
pride still bake
on splinting pavement

women suck in their bellies
while men still wish hours
to roll along faster

--

Nîmes City Stroll II

Hanging onto his glass
the barfly remembers
his own dove days

when he was roaming
city squares freely
- still able to flirt
without shame

In his dove days he could see
if people were real ones
or just pictures
born from the boredom of screens

and most of all
they would recognize him
talk to him
and not just consider him

odd furniture

16.07.2011

Wetter

Auf dem Rad ist man dem Wetter ausgesetzt. Im Elsass fuhr ich ab und an durch schweren Regen. Die beiden heftigen Gewitter, die jeweils das kleine Zelt unter schwere Belastungsproben setzten, kamen zum Glück nicht tagsüber. Weise Radfahrer halten an, wenn es stark zu gießen beginnt. Wer hat schon Gummiüberzieher für die Schuhe dabei? Mein Freund Moritz Ecker, der zeitgleich mit seinem Rad zum Nordkapp gefahren ist, band sich Plastiktüten um die Füße. Denn Wasser in den Schuhen und nasse Socken: Das ist keine Freude. Moritz müsste jetzt am Nordkap angekommen sein. Dort scheint mitternachts die Sonne und es liegt noch Schnee.

Da ich nach Süden gefahren bin, war eher die Hitze das Problem der Stunde. Mit meinem feuchten Tuch auf dem Kopf hatte ich ein Lösung gefunden, das Gehirn halbwegs kühl zu halten. Als Deutscher ist man die Siesta-Kultur nicht gewohnt. Hier passiert zu Recht zwischen 13 und 16 Uhr nur wenig. Mir fiel es schwer, mich während der heißen Stunden in den Schatten zu setzen und abzuwarten. Ich wollte weiter. Ich wollte mich der Hitze aussetzen. Und kam dabei ein paar Mal an meine Grenzen.

Sonnenstich, der Schädel ist knallrot und fühlt sich an, als würde er gleich platzen. Das Wasser ist längst warm und erfrischt nicht mehr. Man hat Hunger und kann doch nicht essen, geschweige denn klare Gedanken fassen. Solche Momente sind auf der einen Seite unangehm, auf der anderen aber auch der Grund fürs Reisen. Ganz am Anfang habe ich mich noch gegen diese Unbequemlichkeiten gewehrt und buchstäblich mein Schicksal verflucht. Bis ich merkte, dass man gerade dann mit der Welle schwimmen und den Ritt genießen kann. Ich konnte förmlich spüren, wie ich von innen weiter wurde, wenn ich nicht aufgab, sondern mich ganz darauf konzentrierte, die Situation so klug wie möglich zu meistern.

Oft waren es 37° im Schatten. Auf der Straße, wenn der Asphalt noch von unten strahlt - ich möchte gar nicht wissen, wie heiß es machmal gewesen ist. Geht es dann auch noch bergauf, während Lastwagen so nah an deinem Ellbogen vorbeirauschen, dass du laut aufschreist vor Überraschung: Dann heißt es wieder: Kein Ponyhof, diese Veranstaltung!

Freut sich doch, wer einen Campingplatz mit Pool findet. Da lernt man, wozu die Dinger eigentlich gut sein können.

15.07.2011

Straße


Ein großer Teil des Weges bestand aus reinen Radrouten. Im Kartengeschäft hatte man mir noch gesagt, in Frankreich gäbe es kaum Radwege. Überraschenderweise konnte ich von Mulhouse bis Mâcon auf einer frisch ausgeschilderten, frisch geteerten Route fahren. Die habe ich zwar zwischendurch auch mal verloren, aber über weite Strecken folgte ich einfach den Schildern, die mich am Rhein-Rhone-Kanal entlang bis Chalon-sur-Saône führten.

Man fährt sehr für sich mitten durch die Natur. Die meisten Radfahrer grüßen - ansonsten ist man allein mit seinen Gedanken.

Die Straße ist anders. Da kann man seinen Gedanken nicht immer freien Lauf lassen. Sie ist ein unbarmherziger Ort. Wie viele tote Tiere hab ich gesehen? Einen dick aufgeblasenen Dachs zum Beispiel, diverse Füchse oder Igel, die so oft überfahren worden waren, dass sie aussahen wie ein Stück rundes, sprödes Leder. Gruselig war ein Katze am Straßenrand mitten in Mâcon. Ihr Gesicht war wie der ganze Körper verzerrt und starr, die Lippen gebleckt, die spitzen Eckzähne standen hervor. Ihre offenen Augenhöhlen waren schwarz und leer. So etwas schafft kein Modellbauer beim Film.

Aber ich liebe die Straße. Ich fühle mich dort zuhause. Sie verlangt ständig Wachheit, sie ist ein Lehrer, der nicht mit guten Lektionen geizt. Einige Male passierte es, dass ich gezwungen war, stark befahrene Landstraßen ohne nennenswerten Seitenstreifen zu nehmen. Lastwagen fuhren eine gefühlte Faustbreit an meinen Ellbogen vorbei. Da kann man nicht schludern. Man ist gezwungen, sehr gut aufzupassen. Zum Glück waren diese Strecken nie besonders lang. Dann lieber vierspurig, wo die Autos mit 100 vorbeidonnern: Denn da gibt es meistens ein Randstreifen, auf dem man sich sicherer fühlen kann.

Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein Gefühl für das richtige Tempo. Am Anfang fuhr ich immer wieder viel zu schnell und war abends so im Eimer, dass ich schon um acht Uhr völlig erschlagen dalag. Das ist fatal. Schläft man ein, ist der Nachtschlaf dahin und der nächste Tag ein Graus. Mit der Zeit ließ ich es langsamer angehen. Stetiges Fahren ist das, was einen weiter bringt. Nicht oft anhalten, sondern lieber ein, zwei Stunden am Stück durchziehen in gleichmäßigem Tempo. Dann hat man auch noch ein Auge für all das Schöne, das jenseits der asphaltierten Fahrbahn liegt.

14.07.2011

Essen


Reisen und ein gesunder Appetit - das gehört eng zusammen. Vielleicht muss man sich in der Fremde essend seiner selbst versichern. Und wer täglich mehrere Stunden in die Pedale tritt, der verbrennt ohnehin einiges.

Ich liebe meinen Morgenkaffee. Das war ein gewichtiger Grund, den Kocher einzupacken. Mein Primus ist eine kleine Diva. Mit E-10 zum Beispiel funktioniert er nicht. Immer wieder verlangt er Aufmerksamkeit in Form ausgedehnter Putzaktionen. Er dankt es mit mir der Fähigkeit, vom Super Bleifrei an der Tanke bis zum Verdünnungsmittel aus dem Farbgeschäft fast alles zu verbrennen. In Frankreich bekommt man Flaschen mit Reinbenzin, dem besten Brennstopff für einen Primus, in vielen Supermärkten: Superkomfortabel.

Morgens gibt es Haferbrei. Dieses Gericht hat viele Vorteile. Ein Pfund Hafer hält gute zwei Wochen. Gewichtsmäßig nicht zu schlagen. Und so lecker, dass ich mich schon abends darauf freue. Man braucht neben den Haferflocken nur eine Tasse Wasser, einen Schluck Öl und eine Prise Salz. Ein kleingeschnittener Apfel, Mandeln und Rosinen sind nicht zu verachten.
Abends Nudeln, Reis, Gemüse, Dosenfisch.

Dosenfisch ist zwar in ökolgischer Hinsicht zweifelhaft wie fast aller Fisch, aber für den Radreisenden, der seine Proteinie und Fettsäuren braucht, kaum zu schlagen in Kompaktheit und Preis. Oft, wenn ich erst abends einkaufte, um die Nahrungsmittel nicht den ganzen Tag transportieren zu müssen, habe ich nur Gemüse gegessen. Damit macht man niemals etwas falsch.

Milch ist immer Thema. Kondensmilich hält relativ lange. Sahne in kleinen Tetrapaks mit Schraubverschluss ist eine saubere Sache, wird aber schneller schlecht, als man sie aufbrauchen kann. Süße Kondenzmilch in Tuben hält ewig, macht aber aus dem Kaffee Zuckerplörre. Eine ideale Lösung scheint es nicht zu geben. Als Kühlschrank am Abend fungiert eine Plastiktüte (gibt's ja immer beim Obstkauf) voll Wasser. Milch rein. Fertig.

Ich hatte nichtmal Pfeffer dabei. Als ich in der Jugendherbergsküche von Nimes neben Pfeffer auch Rosmarin fand (kein Wunder - kann man ja einfach pflücken) und beides in die Gemüsepfanne warf, erlebte ich ein sinnliches Geschmackserdbeben.

Und tagsüber?

Früchte, Nüsse und Rosinen. Die alten Bergsteigerbomben. Geröstete Erdnüsse kosten am wenigsten, bestehen zu einem Viertel aus Eiweiß und füllen den Salzspeicher.

Wenn man alleine reist, dann macht man nicht gerne lange Pausen - die Gemütlichkeit stellt sich nur selten ein. Das heißt, man isst schnell und fährt weiter. Ein Apfel, eine Aprikose (das Rhone-Tal ist Aprikosenland), zwei Hände voll Rosinen und Erdnüssen und man kann die nächsten 20 Kilometer locker hinter sich bringen.

Wasser:

Einmal hatte ich kein Wasser mehr - der Tag war bullenheiß. Vor mir lagen noch 20 Kilometer, teilweise auf stark befahrener Schnellstraße ohne Radweg. Ein Frau überfuhr gleich neben mir eine Katze, als ich anhielt und doch noch einen Apfel fand, der die beginnende Übelkeit wieder zurückdrängte. Der Netto-Supermarkt am Stadtrand von Chalon war die Rettung. Einem Impuls folgend kaufte ich dunkles Baguette - bis dahin hatte ich statt Brot Zwieback oder Knäcke gegessen. Nach einem Bissen ging es mir sofort besser. Die Übelkeit verschwand, ich konnte wieder klar sehen und war nicht mehr schlapp. Also: Brot ist unschlagbar!

13.07.2011

Tiere

Die erste von vielen Weinbergschnecken im Elsass

Mir ist Natur passiert wie ein Faustschlag. Besonders am Rhein-Rhone-Kanal war viel los. Hier ist eine Liste der Tiere, die ich gesehen (nicht nur gehört) habe. Da die Straße ein brutaler Ort ist, waren auch viele tote Tiere darunter. Das steht dann in Klammern dahinter. "Auch tot" bedeutet, dass ich diese Tierart sowohl tot als auch lebendig gesehen habe. Meine zoologischen Kenntnisse sind sehr begrenzt. Tiere, deren Art sich überhaupt nicht ermitteln ließ (Raupen o.ä.) habe ich nicht aufgeführt. Bei Echsen und Schlangen bräuchte ich ein entsprechendes Buch und manchmal auch mehr Beobachtungszeit, um genauer bestimmen zu können.

Hauskatze (auch tot)
Bisamratte
Fuchs (tot)
Dachs (tot)
Reh
Torro (spanischer Kampfstier)
alle möglichen Kühe, weiß, rot, schwarz etc.
Esel
alle möglichen Pferde, vom Kaltblüter bis zum Araber
Ponies, auch sehr kleine
Kaninchen (tot)
Igel (tot)
Eidechse
Skorpion
Natter oder Viper (armlang, tot)
Gecko
Forellen im klaren Wasser
Weinbergschnecke
eine riesige Riesenmotte (Art nicht zu ermitteln)
Graureiher
Seidenreiher
Storch
Schnepfen und Brachvögel
Bachstelze
Gelbspötter
Haussperling
Feldsperling
Weidensperling
Kohlmeise
Blaumeise
Schwarzkopfmeise
Girlitz
diverse Lerchen
Rotmilan
Schwarzmilan
Turmfalke (auch tot)
Stockente
Kernbeißer
Blesshuhn
Haubentaucher
Kormoran
Gans
Schwan (oft mit Küken)
Buchfink
Grünspecht
Kleiber
Rotschwänzchen
Grünfink
Silbermöwe
Mittelmeermöwe (auch tot)
Sturmmöwe
Lachmöwe
Schwalbe
Mauersegler
Star
Graufischer
Flamingo

Am Kanal konnte ich endlich sehen, wie ein Graureiher das Fischen erledigt. Diese großen Vögel sieht man auch in Deutschland häufig. Am Kanal wohnen sie in wahrhaften Massen. Aber entweder sie fliegen majestätisch oder stehen scheinbar bewegungslos im Wasser. Dieser Kandidat jagte am Rand einer Schleuse. In einer einzigen, großen Bewegung warf er den Schnabel nach unten ins Wasser, zog den vielleicht 20 Zentimeter langen Fisch heraus, schwang ihn kopfüber, öffnete den Schnabel ein bißchen und ruckte sich die Beute in den Hals. Was für eine Bewegung!

Ich saß am Campingplatz von Dole, trank ein Bier und versuchte zu erraten, welchen Beruf der deutsche Camper wohl haben könnte, der gerade gegenüber mit Hilfe seiner Frau das Wohnmobil geparkt hatte. Mein Zelt stand gleich neben dem Sanitärgebäude. Eine große Spatzenfamilie nannte den Ort ihr eigen. Auf einmal machte es "Schwussch!" und ein Turmfalke, erkennbar am rötlichen gefärbten Rücken, schoss flach über den Boden in eine Handvoll der kleinen Vögel hinein. Leider ohne Erfolg. Die Spatzen sammelten sich nach kurzer Zeit nicht weit entfernt vom Ort des Geschehens und besprachen mit kühler Miene den Vorfall.

Blesshühner sind streitlustige Gesellen. Die schwarzen, schlanken Wasservögel tragen nicht ohne Grund auf dem Schnabelrücken eine weiße Hornplatte. Männchen im Streit um eine Braut rasen mit diesen Platten unter Vollgas ineinander. Ich sah einen Blesshuhn-Sprint. Ein Pärchen wollte scheinbar einen Eindringling vertreiben. Dazu liefen sie in immer höheren Tempo flügelschlagend über das Wasser, ohne jedoch dabzuheben. Die Beine gallopierten schließlich in Höchstgewschwindigtkeit. Es wirkte, als sei das Wasser eine massive Fläche. Der Eindringling hob schließlich ab und erklärte sich damit für geschlagen.

Meinen ersten lebendigen Scorpion in freier Wildbahn hielt ich erst für ein Stück Dreck. Ich war nachmittags am Mittelmeer angekommen und den Rest des Tages die Küste entlang gefahren. Mitten im Touristenland hatte ich mir unter den drei Campingplätzen, die am Stand bei Frontignan eng beieinander liegen, den billigsten ausgesucht und auch das wenigste bekommen. Der Boden erinnerte eine Kiesgrube. Viele der Bewohner schienen in ihren etwas gammeligen Behausungen zu leben. Mein Nachbar war eine zäher, hagerer Typ, der seine Angeln putzte, Kette rauchte und den tief liegenden Citroen so eng vor dem Wohnwagen geparkt hatte, dass man kaum noch reinkam.
Weil der Boden so staubig war, saß ich während des Kochens auf meiner Decke. Die nahm ich später mit an den Strand, um ein Bier zu trinken und zu lesen. Als ich sie entfaltete, hing eine dunkle, etwa 7 Zentimeter lange Fluse daran. Ich schüttelte die Decke, aber die Fluse blieb wo sie war. Erst dann sah ich genauer hin und schrie tatsächlich ein bißchen auf, weil dieses Tier so fremd wirkte. Es bewegte sich langsam, träge und war für meinen Geschmack zu kantig geformt. Ich schnipste das Wesen von dannen und widmete mich Buch und Bier.

12.07.2011

Stationen #1


Ca. 500 km vom Startpunkt meiner Reise liegt das Dorf mit der berühmten Commonaute, nur einen Schwung von der eigentlichen Route entfernt. Ganz zu Beginn der Planung hatte ich mit dem Gedanken gespielt, dort zu halten, fand aber bei oberflächlicher Überprüfung den Umweg zu weit. Am neunten Reisetag kam ich von der Radroute ab. Also fuhr ich die Strecke von Dole bis Chalon-sur-Saône über kleine Landstraßen zwischen Feldern. Es war der erste richtig heiße Tag. Unten gelbe Weizenfelder. Oben blauer Himmel. Flaches Land. Und Mittagshitze. Ich jauchzte vor Freude.

Später wurde es das Land wellig und grün. Da standen weiße Rinder auf den Wiesen - das kam mir bekannt vor und ich dachte: Vielleicht ist es gar nicht so weit? Siehe da! Von Chalon-sur-Saône gab es sogar einen ausgebauten Radweg (alte Bahnstrecke), der mich später auch auf die Route (nach Mâcon) zurückführen würde.

Taizé ist ein kirchlicher Ort. Ich habe damit keine Berührungsängste. Gemeinschaft, Musik und Gebet werden dort auf kluge, offene Weise in den Mittelpunkt gestellt. Man trifft spannende Menschen. Und die Musik ist einzigartig. Ich komme sonst nicht viel zum Singen, obwohl ich es sehr gern tue.

Falko war in den letzten zwei Wochen bereits 10.000 Kilometer mit seinem Auto bis zum Nordkap und zurück gefahren. Seine Frau und er hatten dieses Jahr nicht zur gleichen Zeit Urlaub nehmen können. Er ist Sozialarbeiter am Rand von Berlin: Problemfamilien. Sein Gang war so schwer wie die Erlebnisse, mit welchen ihn sein Beruf konfrontiert. "Daran, dass 12jährige Mädchen von Stiefvätern oder Vätern vergewaltigt werden, daran kann man sich nicht gewöhnen", sagte er. "Die Problemfamilien, die gibt es in jeder Gesellschaftsschicht, genauso bei Rechtsanwälten wie in den Wohnsiedlungen."

Wie es der Zufall wollte, gab es eine Wiederbegegnung. Bruder Benedikt hatte ich bereits beim letzten Besuch im September 2010 getroffen und viele Malzeiten mit ihm geteilt. Er ist mit Freuden Benediktiner und Lehrer. Welcher Schulmeister sagt schon, er müsse eigentlich Vergnügensteuer zahlen für seine Arbeit? Ehemalige Schüler bitten ihn häufig, sie zu trauen. Auf Ehemaligentreffen soll er Stunden geben. Zugegeben: Er arbeitet an einer Privatschule. Wir lachten jedenfalls wieder zusammen und hatte ein gutes Gespräch über den Zusammenhang zwischen Gottbild und psychischen Störungen, das später bei Facebook und Co. endete. "To me, that's priceless", sagte Peter Pan auf Korfu vor elf Jahren.

Bei meinem ersten Besuch in Burgund begegnete ich dem jungen Jazz-Trompeter Magnus. Er spielte im Orchester, das dort jede Woche aufs neue geformt wird. Seine Musik am Sonntag Morgen ging mir damals so sehr durch Mark und Bein, wie keine Musik vorher und keine seitdem. Als würden meine Moleküle sich lösen und neu zusammensetzen: So viel Herz lag darin.

Das Fahrrad war zog viele Neugierige an und war bei Zufallsbegegnungen ein Top Gesprächsaufhänger. Ich blieb einen vollen Tag und zog erfrischt weiter.

11.07.2011

Reisebilder #2

Stell dir vor, du würdest diesem Schild in England begegnen

What's art?

Intball

Morgens hängt das Meer noch schief

10.07.2011

Untersatz

Das T400 der Fahrradmanufaktur ohne Schutzbleche


Ausrüstung ist großes Thema für Reisende. Fahrrad, Zelt, Matte, Schlafsack, Kleidung, Kocher, Geschirr, Kamera...die Liste der Einzelteile beläuft sich auf über 100.

Ich fahre ein Reiserad mit 26-Zoll-Rädern, das einem Mountainbike ähnelt (das T-400 der Fahrradmanufaktur). Der solide Stahlrahmen ist an den wichtigen Stellen verstärkt und ermöglicht das Anschrauben aller wichtigen Teile (3 Flaschenhalter, Spritzschutz, Gepräckträger vorn und hinten, stabiler Ständer etc.). Die Reifen sind mitteldick und haben leichtes Profil (für Mountainbiking über Geröllpisten sind sie nicht geeignet). Viele fahren auf den größeren 28 oder 29-Zoll-Rädern mit schlanken, schwach oder gar nicht profilierten Reifen.

Die Scottisch Flyboys zum Beispiel rollten auf Rennrädern. Die sind zwar schneller, aber auf den kaum vermeidbaren Schotter- und Feldwegen unmöglich. Manchmal gilt es auch, steile, steinige Pfade von Brücken abzufahren oder auf der Suche nach Lagerplätzen Waldwege zu benutzen. Da sind die kleinen, dicken Reifen von Vorteil. Selbst wenn zur Minimierung des Rollwiderstandes mit 5 Bar aufgepumpt, tragen sie Stöße mit stoischer Gleichgültigkeit. Die relativ größere Langsamkeit ist nur marginal. Ich fahre einfach nicht gern auf rohen Eiern.

Vorne Taschen zu haben ist gut. Nicht nur wegen des großen Stauraumes, sondern aufgrund der Fahreigenschaften des Rades. Es liegt wesentlich ruhiger und stabiler auf der Straße. Donnert man im höchsten Gang eine Anhöhe hinunter, sind auch 60 Stundenkilometer kein Grund zur Nervösität: Das Rad saust fest und stabil.

Jeden Tag auf dem Sattel zu sitzen, tut irgendwann zwangsläufig weh. Meine Hosen waren von Aldi (7,99€) - die kann ich nicht empfehlen. Allerdings muss es mir noch recht gut gegangen sein. Ich fragte die Scottisch Flyboys nach dem Befinden ihrer Hinterteile (sie waren teils bis zu 150 Kilometer pro Tag gefahren und seit über 4 Wochen unterwegs). Liams Antwort war knapp und ausdrucksstark: "Fuckin' agony, man!"

Sollte ich den Kocher mitnehmen? In Frankreich kann man auch Baguette, Käse und rohes Gemüse essen, ohne das Gefühl haben zu müssen, man sei schlecht ernährt. Allerdings liebe ich meinen Morgenkaffee. Und Haferbrei ist in Hinblick auf Gewicht, Nährwert und Geschmack einfach unschlagbar. Also packte ich den Kocher ein und bereute es nicht. Wenn man abends allein vor seinem Zelt sitzt, freut man sich über die Beschäftigung des Kochens.

Es sind oft Kleinigkeiten, die sich als unerlässlich erweisen. Ich hatte ein altes T-Shirt in Lappen geschnitten. Einer wurde Kettenputzer, ein weiterer Taschentuch zum Rausblasen des Straßenstaubs. Einer war Lappen für alles. Spülmittel und Schwamm sind Quatsch. Früher benutzte ich einen halben Küchenschwamm, aber das Stück Stoff funktionierte genauso gut. Unterwegs kann man ihn mit einem Schluss Wasser nass manchen und sich die von der Sonnenmilch klebrigen Hände sowie das Gesicht wischen. Und als ich meine Radlerhandschuhe verloren hatte, wickelte ich zwei Lappem um die Lenkerhörner, um sie weicher zu machen.

Für die ganz heißen Tage war ein Halstuch die Lösung: Ich trug es wie ein Pirat auf den Kopf gebunden. Nass gemacht wirkt es wie eine Klimaanlage und verhindert den Sonnenstich. Denn im Rhone-Tal waren es an manchen Tagen 35° im Schatten. Man will gar nicht wissen, wie hoch die Temperatur in der Mittagszeit über dem heißen Asphalt gewesen sein muss...

Da ich leicht bin, bringt es die Ausrüstung zusammen mit dem Fahrrad auf mein halbes Körpergewicht. Rechnet man das Wasser dazu, wird es mehr. Man sollte einen Tag oder eine Nacht bei Null Grad überstehen können. Dazu reicht es aber, wenn man alles anzieht, was man hat. Ein Französich-Lehrbuch mitzunehmen war nicht die beste Idee. Bei Toilettenartikeln kann man immer sparen. Rasierer? Fehlanzeige!

Ein nasses T-Shirt auf der Tasche mit den Vorräten funktioniert dank der Verdunstungskälte als Kühlung. Zum Waschen der Kleidung nimmt man sie notfalls einfach mit in die Dusche, stampft ein bißchen darauf herum und fertig. Im Süden sind die Sachen schneller trocken als man gucken kann.

Mein Zelt provozierte oft Kommentare. Ich wurde gefragt, ob ich darin Klaustrophobie kriegen würde. Das einwandige Mc Kinley Enduro Ultralight, dass nur ein Kilo wiegt. Man kann nicht aufrecht sitzen. Für Menschen über 1,80 Meter ist es nicht zu empfehlen. Der Aufbau dauert 3 Minuten und weil besonders am Anfang jedes Gramm zählt, ist geringes Gewicht ein starkes Argument. Auch beim Wildcampen ist es von Vorteil: Es liegt so tief, dass es kaum auffällt. Allerdings finden mit mir alle Taschen darin kaum Platz. Ich habe die zwei größeren während der ganzen Reise nachts draußen stehen lassen und fand das nicht problematisch. Campingplätze sind in vielerlei Hinsicht sehr sichere Orte.

Die Ausrüstungsproblematik zeigt, was man alles nicht braucht. Viele Dinge lassen sich durch andere, einfachere ersetzen. Man findet sehr viele Dinge einfach auf der Straße.

An dieser Stelle gilt ein besonderer Dank Felix Keuck, der mir seine großen Ortlieb-Taschen mitgegeben hat. Die Dinger sind unverwüstlich!

09.07.2011

Allein Reisen

Auf der Rheinfähre

Wir alle wissen, dass Alleinsein ungesund sein kann. Im Gegensatz zur Isolation des Sesshaften, die bereits nach drei Tagen einsetzen kann, ist das Alleinsein auf dem Rad ein gutes.

Während der ersten Woche erlebte ich das klassische Lösen von Frustrationsablagerungen. Im Yoga ist es eine altbekannte Tatsache, dass seelische Spannungen im Gewebe des Körpers gespeichert werden. Besonders Frustration und Wut wandern in die Beine. Diese Ablagerungen; alte, ungute Gedanken, versteckter Streit, Starre und Wut, kamen in den ersten Tagen in Form teilweise äußerst beschissener Laune zum Vorschein. Das habe ich auch bei früheren Reisen erlebt, es aber noch nicht als natürlichen Vorgang erkennen können. Oft waren Spannungen mit Reisegefährten die Folge.

Nach einer Woche hatte sich mein System gereinigt. Raum für Gedanken aus der Warteschleife entstand. Vieles wird im städtischen Stress so oft als nicht wichtig klassifiziert und nach hinten geschoben, dass es irgendwann gar nicht mehr nach vorne kommt. Radelnd befreit sich der Kopf. Den Rhein-Rhone-Kanal zur linken, den Himmel über dem Kopf und die lange, gerade Linie des Weges vor mir, räumte er sich auf wie ein chaotisches Zimmer, in dem jedes Teil seinen Platz findet.

Wer länger allein reist, dem begegnen mit der Zeit die Menschen ganz von selbst. Leute kamen von sich aus auf mich zu - es musste sich etwas an meiner Ausstrahlung geändert haben, denn sonst ist das nicht der Fall.

Mit zwei oder mehr Leuten unterwegs zu sein bietet grundsätzlich Vorteile gegenüber der Solonummer. Allerdings lernt man ganz andere Sachen. Allein auf der Straße unterwegs zu sein, macht es buchstäblich möglich, an sich zu arbeiten, - ein Ausdruck, der so verbraucht ist, dass ich jetzt 5€ ins Phrasenschwein werfen muss.

Durch die vom sonstigen Lebensalltag losgelöste, erhöhte Bewusstheit kann man den Instinkt entwickeln. Wir alle tragen wesentlich mehr davon in uns, als wir wissen - vielleicht wissen wollen (nochmal 5€...). Zwar versuche ich auch im Alltag, meiner buchstäblichen Nase zu folgen, aber das erweist sich immer wieder als sehr schwierig. Die Zahl der Eindrücke gepaart mit der Unruhe, welche das urbane Leben mit sich bringt, machen es fast unmöglich, noch zu wissen, welchem Impuls man eigentlich gerade folgt. Sind es Gedanken? Sind es Ängste oder einach nur Triebe?

Ich habe versucht, mehr meinem Gespür als meinen Gedanken zu folgen und nicht die Trägheit, die sich stets den Weg des geringsten Widerstandes sucht, sprechen zu lassen. Das zahlt sich aus. Man mag es nennen, wie man will - Zufall, positives Denken, ein Geführt-Sein, von mir aus auch Gott. Sich dem Weg zu öffnen lässt einen genau jene Zimmer betreten, in denen die nächstliegenden Aufgaben und Freuden bereit stehen. Manchmal geht das am besten, wenn man die Straße allein betritt.

08.07.2011

Reisebilder #1

Hier war er endlich, am dritten Tag: Der Rhein-Rhone-Kanal, der mich bis Chalon sur Saone begleiten sollte.

Lyon kennt man oft nur als unbequemen Verkehrsknotenpunkt. Die Stadt selbst liegt wunderschön an den Hängen des Flusstals. Im Kontrast zur alten Bausubstanz steht das neue Hafengelände mit spektakulär schöner Architektur.

Zwei Tage lang fuhr ich in Sichtweite der Alpen. Ganz schwach sieht man sie im Morgendunst.

Nimes. Nachdem ich einen Höhenzug überquert hatte, war ich klimatisch gesehen wirklich im Süden. Hier bließ der Mistral. Feuer verboten.

Mein erster freier Blick auf das Meer in La Grande Motte, einer Touristenstadt.

07.07.2011

Kilometer zählen

Straight Views

Man zählt sie eben doch, die Kilometer. SEHR viele Leute (meistens Männer) sagten, man würde ja locker 100 Kilometer pro Tag fahren. Diese Leute möchte ich mal sehen. Man kann schon 100 Kilometer pro Tag fahren. Aber wenn man sein halbes Körpergewicht unterm Sattel hat, und auch den nächsten und übernächsten Tag halbwegs bequem sitzen will, dann ist das nicht so einfach.

Ich habe keinen Fahrradcomputer. Also weiß ich nie, wie weit ich gefahren bin und wie schnell. Meine Karte gibt Entfernungen zwischen Knotenpunkten an, so dass ich die Etappen ungefähr überschlagen kann. Die durchschnittliche Geschwindigkeit lag stabil bei etwa zehn Kilometern pro Stunde, Pausen und Einkaufen eingerechnet (hinterher war ich ein bißchen schneller). Daraus folgt, dass jede Tagesetappe über 80 Kilometer am nächsten Tag ein Stück zu tief in den Beinen steckt. Geschweige denn, der Wind bläst den ganzen Tag stark von vorn oder die Strecke enthält viele Steigungen.

Zum Glück trägt sich das Gewicht mit der Zeit leichter. Am Anfang habe ich gestöhnt und tatsächlich jeden zweiten Kilometer als Kampf empfunden. Sturmartiger Gegenwind, Steigungen, Regen, müde Beine von schlechtem Schlaf: Hier ist kein Ponyhof.
Irgendwann spürt man nicht mehr, dass das Rad unter einem doppelt so schwer ist wie sonst. Man fährt einfach. Man fährt stetiger und ruhiger, wird gleichmütiger und natürlich auch kräftiger.

Trotzdem denkt man während der Fahrt viel an die zurückgelegte Distanz. Wie weit bin ich jetzt wohl gekommen? Beim nächsten Mal werde ich wohl einen Tachometer ans Rad anschließen.

Meine Route verlief grob gesprochen von Baden-Baden über Strasbourg, Mulhouse, Chalon sur Saone, Taizé, Lyon und Nimes bis nach Armissan bei Narbonne. Ich folgte erst dem Rhein-Rhone-Kanal bis zur Saone. Die fuhr ich nach Süden bis zur Rhone, von der ich anderthalb Tage vor Nimes abbog. Dass da ein Höhenzug im Weg lag, hat sich gelohnt. Die Aussicht war spitzenmäßig. Und bergab hatte ich auch noch Rückwind, so dass ich lange Zeit Höchstgeschwindigkeit fahren konnte.

Der Routenplaner von Google gibt für meine Strecke nach Etappenzielen über Landstraßen exakt 1000 Kilometer an (das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen). Ich bin wahrscheinlich etwa 1.100 Kilometer gefahren - wenn man die Radfahrerumwege, das Verfahren sowie die Strecken innerhalb der Städte mit einrechnet. Das ergibt bei 18 Reisetagen einen Schnitt von 60 Kilometern pro Tag.

Wie kommt der Mythos von den 100 Kilometern zustande? Das muss in etwa so sein wie bei den Kellnern. Die geben grundsätzlich die Höhe ihres durchschnittlichen Trinkgeldes zu hoch an. Die Scottisch Flyboys zum Beispiel erzählten zwar von Tagesetappen über 150 Kilometer. Sie können aber, wenn man Gesamtstrecke und Anzahl ihrer Reisetage (1.300 Meilen in 4,5 Wochen) zusammenbringt, auf keinen Fall mehr als 75 Kilometer im Tagesschnitt zurückgelegt haben. Und das als Gruppe auf schnellen Rennrädern, in der man Windschatten fahren, sich gegenseitig anspornen und Ausrüstung verteilen kann.

06.07.2011

Camping

Great Views

Vor der Reise war ich davon ausgegangen, meist wild zu campen. Letztlich habe ich fast nur auf Campingplätzen übernachtet. Zum einen, weil sie so günstig sind, dass sich das Wildcampen nur bedingt lohnt. Zum anderen, weil Frankreich so dichträumig erschlossen ist, dass man gute Plätze erstmal finden muss. Und wer sehnt nicht nach einem heißen Tag im Staub der Straße eine (kühle) Dusche herbei?

Mir liegt der Menschenschlag der Camper. Zwar sind die Plätze so verschieden, wie die Leute selbst, aber es gibt eine Form von kultivierter Gemütlichkeit (man könnte fast sagen: Faulheit), die sich eigentlich überall findet. Niederländer, Franzosen, Briten, Italiener, Deutsche. Die meisten mit Wohnanhängern oder Wohnmobilen, manche auch mit majestätischen Zelten. Vom drei Meter hohen M.A.N.-Supercamper bis zum uralten holländischen Anhänger, dessen Dach für die Stehhöhe erst hochgekurbelt werden muss, war alles dabei. Auch hier zeigte sich wieder: Je einfacher, desto zufriedener wirkten die Leute.

Auf dem Platz in Altkirch schien ein Fendt-Treffen stattzufinden. Ob das ein Fanclub war oder die Belegschaft der Firma: Keine Ahnung. Fast alle Gäste des Platzes hatten Fendt-Wohnanhänger in Längen von 450 bis 700 Centimetern (das steht außen drauf). Da die meisten mit zwei Autos angereist waren, hatte die Hälfte auch noch einen Küchenanhänger, dessen Dach als Regenschutz fungiert. Genau. Es regnete aus Gießkannen. Unter den weit gespannten Vorzelten hatten ganze Sitzgruppen Platz. Dort tranken die Eltern Kaffee, während die Kinder auf ihren Rädern im Kreis fuhren. Bei Regen wurde der SUV darunter geparkt. Ein Paar hatte sogar die Hundehütte für den Bullterrier dabei. Mein kleines Zelt hielt dem Gewitter übrigens stand.

Mittlerweile scheint es ein Campingplatz in Südfrankreich ohne Pool nicht mehr weit zu bringen. D.h., dass man trotz des supergünstigen Reisens nach einem langen und heißen Tag eine luxuriöse Abkühlung nehmen kann. Lieber waren mir allerdings die Adressen mit nur einem oder gar keinem Stern, die nichts bieten als ein halbwegs ebenes, halbwegs schattiges Plätzchen, eine einfache Dusche und ein Klo (ohne Klopapier, das bringt man selbst mit). Die Leute dort waren mir angenehmer. Und die Preise natürlich höchstens halb so hoch.

Zum Beispiel traf ich den einsamen Mann mit Hund. Er bereiste das Tal der Doubs im alten Bürstner Wohnmobil mit Fiat-Unterbau. Der Mann saß abends im Klappstuhl vor seinem Klapptisch, eine Tasse Tee vor sich und die angegraute Hündin, ein großer Boxermischling, blickte mit ihm gemeinsam in den Sonnenuntergang. Dazu hörte er leise Pink Floyd. Einmal kam er rüber zu mir. Er hatte die freundlichsten traurigen Augen.

Klassisch sind Ehepaare jenseits der besten Jahre, die sich steif bewegen. Häufig sehr braungebrannt liegen oder sitzen sie stundenlang vor ihren mobilen Häusern, genießen abendes ein Fläschchen Wein und nutzen nicht selten Laptops, um dem Rest der Familie Emails zu schicken. Eltern mit kleinen Kindern, auch Radreisende, wirken oft wie pures Glück. Außer bei den Engländern, aber das ist eine andere Geschichte.

05.07.2011

Orientierung


Das Finden des Weges. Wie kann man es so gestalten, dass man nicht oft anhalten muss? Es gibt längst satellitengesteuerte Navigation für Radfahrer. Aber will man das? Auf eine kleine Maschine gucken, die anzeigt, ob es links geht, geradeaus oder rechts?
Für diese erste längere Radreise sollte es wenig Technik sein. Also Karten. Ich kaufte eine Michelin-Karte Frankreichs im A4-Format, Maßstab 1:200.000, und riss die entsprechenden Seiten heraus. Ein Motorradfahrer hatte mir Michelin empfohlen und lag damit richtig. Ein kleinerer Maßstab: Das wäre eine Menge Papier geworden.

Sich ab und an zu verfahren ist unvermeidbar. Man hat einfach manchmal so Tage.

Nicht nur die Scottisch Flyboys gehorchen der ersten Regel, die lautet: Never go back!
So habe ich es auch gehalten. Auch wenn ich die fünf schottischen Jungs genau in dem Moment traf, an dem ich zum ersten Mal ein Stück zurück gefahren war. Nicht umzukehren ist dumm. Es kostet Zeit und Nerven. Umwege werden niemals kürzer dadurch, dass man versucht, auf einem Bogen zurück zur eigentlichen Strecke zu finden. Trotzdem streubt sich alles in mir gegen des Umkehren. Überhaupt das Anhalten. Der Radfahrer ist an und für sich ein flüchtiges Wesen. Er sieht, nimmt auf und fährt vorüber: Das ist sein Geschäft.

Eine weitere Regel der Scottisch Flyboys, zugeschnitten auf Frankreich lautet: Stick to the D-roads!
Mit einem "D" gekennzeichnet sind die meisten Landstraßen. Das können kleine, gewundene Pisten zwischen winzigen Käffern sein oder auch vierspurige, gerade Schneisen in der Landschaft, auf denen die LKW's nur wenige Zentimeter am Ellbogen des Radfahrers vorbeirauschen. Eine Kategorie über den D-Straßen kommen die mit "N" gekennzeichneten (für National). Nicht zu empfehlen.

Die Flyboys sind einmal auf der Autobahn gelandet. Einer fuhr vor (wahrscheinlich Connor) und alle anderen hinterher. Einmal drauf, kann man nicht mehr zurück. Die Leute an der Raststätte haben sehr komisch geguckt, als aus heiterem Himmel fünf Radfahrer aufkreuzten.

Als Navigationssystem dient kleiner Zettel, den ich mir in die Radlerhose stecke. Darauf stehen Namen der Orte, die ich durchfahre, sowie die Nummern der Straßen. Meist komme ich damit bestens zurecht. Am letzten Tag habe ich die kleine Werkzeugtasche, die normalerweise unter dem Sattel hängt, an den Sattel gebunden. Da konnte ich die Karte reinstecken und während der Fahrt lesen. Hab mich trotzdem verfahren.

Verfahren passiert ohnehin nur im Kopf. Der Weg ist ja das Ziel. Das ist keine leere Phrase, sondern Tatsache. So, wie ich die Flyboys traf, als ich gegen die Regel zurückfuhr, so passieren die guten Dinge häufig dann, wenn man glaubt, vom Pfad abgekommen zu sein. Ich verfuhr mich besonders an den letzten zwei Tagen der Reise, an denen ich mir lange Strecken vorgenommen hatte, um endlich anzukommen. Dass es sehr heiß war, machte die Sache nicht leichter. Wer stetig fährt und sich nicht ärgert, wenn die Route anders ausfällt als geplant, der kommt, auch innerlich, am weitesten.

04.07.2011

Made it


Nach genau drei Woche bin ich in Armissan angekommen. Das Bild zeigt mich auf der letzten Anhöhe vorm Ziel.

Radreisen ist supergeil!