Max Pothmann | Autor | Bühnenbild & Requisitenbau | Köln-Bonn
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27.05.2011

"Hanna" - Lola Rennt 2.0

Some Stylish Switchblade!

Stille Winterlandschaft. Die ersten Bilder sind so leise, dass ein Kinogast rausgeht und fragt, ob die den Ton anmachen können. Die vielleicht 13jährige Hanna jagt mit Pfeil und Bogen ein Rentier im finnischen Schnee. Ihr Vater (Eric Bana) schleicht von hinten heran. Die beiden prügeln sich, die prügeln sich richtig. Weil sie nicht aufmerksam genug war, muss Hanna den 200 Pfund schweren Bullen allein nach hause karren. Nach hause: Das ist ein Hexenhäuschen im Wald - der erste deutliche Hinweis darauf, dass wir uns hier in einer märchenhaften Parabel befinden.
Die folgenden Spielwiesen sind ein eisenharter Bunker; rote Steinwüste; on the Road mit der Hippiefamilie im Wohnmobil; Flamenco; das blonde Mädchen und der Kuss; eine Containerlandschaft und zuletzt ein schön schmuddeliges Berlin.

Hanna kann zwar kämpfen und Tiere ausnehmen, aber sonst muss sie vom Leben viele Grundlagen erst lernen. Beim Küssen dekliniert sie Anzahlen der involvierten Gesichts- und Haltungsmuskeln durch, nur um dem sanften Spanier aufs Maul zu hauen, als man glaubt, es wäre endlich soweit.

Joe Wright inszenierte bereits mit Atonement ein stilistisches Meisterwerk, in dem Bild, Musik, verschachtelte Ort- und Zeitebenen sowie der brilliante Cast sauber und dicht ineinandergriffen.
Mit Hanna treibt er dieses Spiel noch weiter; er entwirft eine moderne, gleichzeitig von klarer Bildsprache und Schmuddel geformte Parallelwelt, vor deren Hintergrund die Figuren zu kühlen Symbolen werden. Vielleicht soll ihnen das Blut manchmal fehlen - denn hochkonzentrierter Stil und Visualität lassen sich nunmal mit Wärme schwer verbinden. Saoirse Ronan, die für ihre Rolle als gleichzeitig hochbegabte und verwirrte Briony in Atonement als bisher jüngste Schauspielerin mit einer Oskarnominierung ausgezeichnet wurde, trägt diesen Film an Bana und der Hexe Cate Blanchett vorbei. Der Puls der Musik von den Chemical Brothers verstärkt den Eindruck, man sähe hier Lola 2.0 - nur noch besser eben.

Am Ende: Laufen, laufen, laufen - in Szene gesetzt von Leuten, die sich Tom Tykwers Berlinmovie genau angeschaut haben. Lola und die Stadt, denn die darf - auf ranzige Art und Weise - ihre tatsächliche Märchenhaftigkeit unter Beweis stellen. Der ZOB und seine U-Bahn-Station zum Beispiel, ein besonders hässliches Dreckloch, das ankommende Reisende gleich aller Illusion darüber beraubt, Berlin könne doch eine nette Stadt geworden sein.

Zum Glück! Zum Glück, denkt man, verliert dieser Film nicht wie so viele Stilversuche den Faden, auf dem er sich in den ersten, klaren Bildern abrollt. Wie häufig würde man sich in den Kampfsequenzen ein wenig mehr Logik wünschen. Hannas Vater legt zwar locker vier CIA-Agenten auf einmal um, scheitert jedoch am einzelnen Neonazi. Aber was macht's?

Die Geschichte beginnt mit Hannas Worten: I missed your heart. Und endet bei den Brüdern Grimm, im Mund des Wolfes. Der Hirsch vom Anfang taucht wieder auf (ein Weibchen wohl, diesmal - die Zukunft) und Hannas sagt den gleichen Satz erneut, bevor sie am Abzug zieht: I missed your heart.

Kinder und Gewalt. Kick-Ass mit Nicolas Cage und Mark Strong war ein Film, der sich daran versuchte und dabei maßlos über die Strenge schlug. Hanna erinnert an X-Men (der mit einem vierten Teil vor den Toren der Kinos wartet), bleibt dabei inhaltlich jedoch vage und zelebriert Gewalt immerhin nur indirekt.

Randgedanken: Wir haben aufgehört zu träumen.
Umgeben von so vielen Bildern, in denen geträumt wird, liegen wir längst nicht mehr nachts wach und starren stundenlang auf ein einziges Foto der Geliebten. Lieber schalten wir den Fernseher oder den Kulturbetrieb ein und sehen anderen beim fühlen zu. Denn viel zu fühlen, das tut immer auch ein bisschen weh.