Max Pothmann | Autor | Bühnenbild & Requisitenbau | Köln-Bonn
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30.12.2010

Bild des Tages #1


Das ist Alejandro Huari Mateus in 'REDOUT', einer Bühnenkomposition von Florian Mattil. Mehr Bilder hier.

27.12.2010

Kaffee am Strand


Umibe no Kafuka - So lautet der Titel von Murakamis 'Kafka am Strand' auf Japanisch. Ich gehöre zu den Schnöseln, die ausländische Bücher von Murakami oder auch Garcia Marquez lieber auf Englisch lesen. Schlimm, oder? Es könnte daran liegen, dass der Buchmarkt, der ja in Deutschland bekanntlich seit einiger Zeit gelinde gesagt neurotisch auftritt, nicht nur seine Autoren, sondern auch seine Übersetzer derart unter Druck setzt, dass sie in all der Hektik keine Zeit mehr haben für die Musik der Sprache - denn genau davon findet sich in den englischen Übersetzungen wesentlich mehr, als in den deutschen.

Vielleicht lässt sich der schönere Klang von Murakamis Büchern auf Englisch auch einfach darauf zurückführen, dass der gute Mann sich selbst in die Tradition angelsächsischer Literatur einordnet (er hat zum Beispiel Irving und Fitzgerald übersetzt).

Kafka am Strand also. Tolles Buch für Leute, die in die Einsamkeit gehen. Zum ersten Mal las ich es vor ein paar Jahren allein in einem Haus direkt an der Ostsee und fand mich gespiegelt zwischen den Zeilen.

Ein paar Jahre und eine Handvoll Murakami-Bücher später fiel mein Eindruck ein wenig flacher aus. Dieser bewundernswert phantasievolle, freie Autor hat weniger plakative Bücher geschrieben. Trotzdem ist die an Ödipus angelehnte Geschichte eines Ausnahme-15-jährigen absolut lesbar. Besonders Nakata-san und Hoshino waren mir auch beim zweiten Mal gern gesehene Gesellen - das Buch beginnt eigentlich erst mit der Reise dieser zwei schrägen Vögel richtig abzuheben.

Wer sich noch einmal daran erinnern will, wie es war, fünzehn zu sein und wer es gerne surreal hat, assoziativ und gleichzeitig kongruent, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

18.12.2010

Falls jemand fragt

Immer wieder trifft man diese wandelnden Lexika. Leute zum Beispiel, die zu jedem halbwegs bedeutenden Album der Rockmusik etwas zu erzählen wissen. Jahreszahl sowieso, aber auch Geheimnisse aus dem Produktionsstudio, wie der zu jener Zeit bevorzugten Droge oder Freundin des Leadsängers.

Wandelnde Filmlexika gibt es auch. Solltet ihr euch in nächster Zeit im Gespräch mit einem Filmlexikon wiederfinden und über 'No Country for Old Men (2007)' der Coen-Brüder sprechen, könnte das Lexikon sagen: In dem Film gibt es (bis auf den Abspann) gar keine Musik! Für diesen Fall habe ich hier ein schönes Schnipselchen Information für euch:

Stimmt nicht! Es gibt genau einen halben Takt! In der Szene, in der Chigurh mit den zwei Texanern zum Ort der Schießerei fährt, wird einmal kurz das Autoradio aufgedreht (Rockmusik, natürlich).

Eine frohe Vorweihnachtswoche wünscht euch -

Max

24.11.2010

Glen Velez

Ich bin zurück von einer kleinen Berlinreise. Man, ist es dort dunkel!

Für Rhythmus-Liebhaber:

09.11.2010

Der nächste Frühling wird grün

Mal wieder ein Beispiel für die Natur der Medien:
In diesem Jahr wurden entlang der Venloer Straße im Herzen Köln-Ehrenfelds 63 Platanen gefällt.

Riesengeschrei! Mehrfach schafft es dieser 'Skandal' auf die erste Seite des Lokalteils (die Bäume, die aufgrund der U-Bahn-Trasse unter der Straße nicht tief genug wurzeln konnten, waren einfach nicht mehr sicher).

Ende vergangener Woche dann: Plötzlich, still und heimlich die Pflanzung der versprochenen neuen Bäume. Sie sind bereits vier Meter hoch und werden im Frühling sicher schon eine dicke Dosis Grün in die letztlich so karge Straße bringen.

In den Medien: Kein Wort von der guten Nachricht.

03.11.2010

Das letzte Gelb


Bevor die längst gelb verfärbten Blätter zu Boden gehen, muss der Städter noch einmal in den Wald. Die Premiere in Köln ist gelaufen - zu lesen über Karin Beiers "Das Werk/Im Bus/Ein Sturz" geben die Zeitungen. Ich habe mich aufs Land verzogen und bin nach einer Nacht schnellem Schlaf in der Stille aufgebrochen in den nächsten größeren Wald.

Manchmal schon habe ich mich gefragt, ob ich mich verlaufe, weil ich das insgeheim so will. Erst wer sich verlaufen hat, dessen Augen öffnen sich richtig. Selbst wenn man nicht weit von zuhause den Weg verliert, befindet man sich auf einmal in der Ferne. Der Alltag löst sich beinahe vollständig auf, wenn man nicht mehr weiß, wo man ist.

Ich verlief mich. Fand den Parkplatz nicht wieder. Fand den Waldrand zwar, hatte aber keine Ahnung, auf welcher Seite ich rausgekommen war. Die Straße jedenfalls hatte ich noch nie gesehen. Autos rasten direkt an meinen Ellbogen vorbei, LKW's schwankten, der Himmel war sehr grau und ich war sehr allein. Die Häuser trugen "Betreten verboten"-Schilder. Ich hatte auch Hunger und Durst, bloß Joghurt zum Frühstück, Scheiße.

Auf der Straße entschied ich mich für eine Richtung. In der Ferne ein blaues Parkplatz-Schild. Meiner? Nein. Es gab eine Karte - ohne Standortmarkierung allerdings. Ich musste deduktiv vorgehen (zum Glück hatte ich gerade Guy Ritchies 'Sherlock Holmes' gesehen). Die Technik half: Ich konnte die Karte fotografieren und mich unterwegs der Richtung versichern.

Heute Nacht großer Wind: Jetzt sind es schon viel weniger Blätter.

26.10.2010

Brittany Murphy - The Dead Girl

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Der Film Sin City, eine Umsetzung der Graphic Novels von Frank Miller (2005) war damals in vieler Munde - die Mischung aus spezieller Schwarz-Weiß-Optik, der aus Episoden gebildete Aufbau und die viele Gewalt machten ihn zu etwas Besonderem und - zumindest in Männerkreisen - häufig Erwähntem. Manchen ist Brittany Murphy in der Episode 'The Big Fat Kill' an der Seite Clive Owens aufgefallen. Und zwar nicht primär als schöne, blonde Frau, sondern als extrem gute Schauspielerin.

Im Kassenschlager 8 Mile (2002) spielte sie Eminems trashige Quasi-Freundin. Ich fand damals ihre Darstellung so echt, dass ich begann, ihre Karriere zu verfolgen. Sie starb Ende letzten Jahres im Alter von nur 32 Jahren.

2006 hatte sie in einem kleinen Streifen von Karen Moncrieff mit dem Titel The Dead Girl mitgewirkt. Neben ihr sind unter anderen Toni Colette, Marcia Gay Harden, Giovanni Ribisi und Josh Brolin zu sehen - alle bekannt nicht nur für gutes Schauspiel, sondern auch für ihre Auswahl guter Filme.
Zu Beginn des Films wird irgendwo auf dem Land die Leiche eines Mädchens entdeckt. Episodenhaft rollte sich die Geschichte von hinten auf.

Die Episoden machen Film ein Stück weit unpersönlich, exemplarisch: Im Kapitel "Die Schwester" begegnen wir der jungen Pathologie-Doktorandin Leah, welche die Leiche untersucht. Ihre eigene Schwester ist vor 15 Jahren verschwunden. Leah leidet bis heute darunter. Für einen kurzen Moment fühlt sie sich befreit, weil der Verdacht ensteht, die Leiche könne die ihrer Schwester sein. Der kurze Moment genügt, um endlich den hübschen Laborkollegen kennen zu lernen, denn der Irrtum folgt auf dem Fuß und sie wird Hilfe brauchen.

Gruselig: "Die Ehefrau". Hier treffen wir die Frau des Mörders, der immer wieder tagelang verschwindet - natürlich ohne zu sagen wohin. Die Stimmung im Haushalt der beiden wirkt schauriger als es eine Darstellung seiner Taten erreicht hätte.

Wie gewohnt großartig spielt Marcia Gay Harden die Mutter des toten Mädchens. Sie reist nach L.A. und findet eine junge Prostituierte, mit der die Verstorbene Zimmer und Bett geteilt hat. Die Mutter erfährt erst jetzt, dass ihre Tochter früher jahrelang vom Stiefvater missbraucht wurde.

Im letzten Kapitel begegnen wir Murphy. Trashig, müde, abgenutzt und mit verkratzter Stimme. Einmal versucht sie während einer Autofahrt Josh Brolin in einem grandios dahin gerotzten Monolog einen Gefallen abzuschwatzen: Großes Tennis.

Brittany Murphy ist 2009 unter unklaren Umständen gestorben. Ihr Tod stand, wenn auch nicht mit Drogen, so jedenfalls mit Medikamenten in Zusammenhang. Nicht nur im Falle Heath Ledgers ist das Leben wieder einmal traurig gewesen. Murphys Ehemann Simon Monjack starb nur fünf Monate später im gleichen Haus unter ähnlichen Umständen.

21.10.2010

Einer ohne Worte

Valhalla Rising

An der Qualität von 'Valhalla Rising' scheiden sich die Geister. Man kann den Film als dänisch auffassen, auch wenn er europäisch produziert wurde. Der Regisseur Nicolas Winding Refn kommt, genau wie Hauptdarsteller Mads Mikkelsen aus unserem nördlichen Nachbarland.

Selten sind Streifen, in denen die Hauptfigur kein einziges Wort spricht. Endlich ein neuer! Mikkelsen, spätestens seit Jerry Bruckheimers verunglücktem King Arthur (2004) eine besondere Empfehlung als Action-Darsteller in dreckigen Mittelalter-Filmen, sagt während des ganzen Films kein einziges Wort. Er grunzt nicht einmal beim kämpfen. Und weil er so eine Art Kampfsklave ist, prügelt er sich regelmäßig und gewinnt immer - einäugig.

Vielleicht wollte Refn mit diesem Film einen Kontrapunkt setzen zu Ridley Scotts The Conquest of Paradise (1992), worin Gérard Depardieu als Kolumbus mit ansehen musste, wie seine bescheuerten spanischen Adelskollegen massenweise Eingeborene umbrachten. In Valhalla Rising landet eine Handvoll Wikinger um 1000 a.D. an Nordamerikas Küste. Der nunmehr freie 'One-Eye', dessen Träume gelegentlich zukünftiges vorweg nehmen, hilft den Eingeborenen bei der Dezimierung seiner durchdrehenden Kollegen, bis nur noch der heimatlose Junge übrig ist, den Einauge im Schlepptau mit über den Ozean geführt hat - die Eroberung des Paradieses bleibt auf dieser Tour aus.

Nicht nur die Hauptfigur spricht wenig. Die Wikinger sind überhaupt sehr wortkarg. Der Film ist in Kapitel geteilt. Ruhig und zielsicher reiht sich Bild an Bild. Ein Antifilm - aber ein schöner, ein brutaler, ein besonderer.

19.10.2010

Im Kino: Twelve

Ein modelschöner junger Mann steht mit zerwuschelten Haaren einsam auf New Yorker Dächern. In den Straßen und Parktunneln von Manhattan verkauft er Drogen aus Harlem an seine alten Klassenkameraden. Die sind alle so reich, dass sie nicht wissen, wohin mit all dem Geld, dem Erfolgsdruck und der ganzen Gefühlskälte. White Mike, der Dealer ist verglichen mit ihnen ein armer Schlucker. Seine Mutter ist gestorben, der Vater kellnert. Wir erleben hier eine Wiederholung dieses Kernelements amerikanischer Geschichten - den Tod eines Familienmitglieds.
Kiefer Sutherland gibt aus dem Off Informationen über die Protagonisten. Seine raue, zeitlose Stimme allein macht diesen Film (neben all den schönen Gesichtern) guckbar. Zwar ist das Lebensgefühl dieser neurotischen Generation reicher Immernoch-Teenager für uns Mittelgewichtseuropäer schwer nachvollziehbar, aber allein weil sie alle so unreal schön daher kommen, gucken wir ihnen gerne beim Abkacken zu. Am Ende heißt es dann, wie üblich in Amerika: Live the best life you can.

18.10.2010

Zurück zu den Wörseln?

Ich hatte mal einen Ballettlehrer, der besonders durch seine Körpergröße von sich reden machte. Er war sehr klein. Ungefähr einsfünfzig.

Obwohl er seit 30 Jahren in Essen lebte, sprach er kaum deutsch. Das lag auch daran, dass die Deutschen immer ganz wild darauf sind, englisch zu sprechen.

Er bezeichnete sich selbst als den ungeschlagenen Pirouetten-König, damals in den goldenen Tagen am Royal Ballet. Dem konnte man Glauben schenken - es gibt Menschen, die können sich einfach drehen und er gehörte dazu.

Einmal versuchte er uns klar zu machen, wie sehr man den Fußballen beim Drehen im Boden verankern muss. Er fragte: "How do you say 'root' in German?" - "Wurzel!" schrien wir - "OK, you have to put your foot into the ground like a Wörsel!" schrie er zurück und alle wörselten durcheinander.

Meine Frage ist gerade, ob ich den Blog wieder in die Hauptseite zurückbauen soll. Seit einem Monat nicht geschrieben: Was ist denn das?

Derzeit arbeite ich am Schauspielhaus Köln. Es ist, wie es immer war: Die Tänzer werden vom Theater verarscht. Mehr dazu folgt spätestens in einem Monat...

07.09.2010

Thilos Thesen

Man kommt an dem Thema nicht vorbei. Die Presse freut sich darüber, jetzt, wo Ballack ausgequetscht wurde wie die letzte Zitrone.

In jeder Tageszeitung finden sich erschreckende Leserbriefe, die noch viel dümmer sind, als was gemeinhin von Sarrazin gehalten wird. Da wird nach Härte geschrien von Menschen, deren eigene Erfahrungswerte mit dem Thema ich stark anzweifle. Mir wird davon angst und bange, wesentlich mehr als von den Worten eines sicherlich spröden, vielleicht sogar misanthropischen Bankers, der seine Hausaufgaben gemacht hat.

Hier ist der Artikel einer türischen Soziologin. Sie hat, im Gegensatz zu den meisten, Sarrazins Buch wirklich gelesen und geht ohne zu schreien auf dessen Inhalte ein. Nur weil jemand schreibt, er könne ja ins Morgenland reisen, wenn er den Muezzin hören will, muss er nicht gleich böse sein (auch wenn ich selbst gerne erstmal davon ausgehen möchte).

05.09.2010

Woody Type of Quality

Pures Genie.

Die Darstellung von youtube-Filmen funktioniert hier nicht richtig. Witzigerweise, denn Blogspot kommt vom gleichen Verein.

Hier also nur der Link zu
Monty Python's Best Sketch Ever

12.08.2010

Hans Magnus

Im Zeit-Magazin ein Interview mit Enzensberger.

99 Fragen, Instant-Gespräch; kurz, knapp, unterhaltsam.

Frage 63:
Was gibt's eigentlich dauernd zu grinsen?

Heiterkeit ist eine moralische Frage. Mürrische Leute, die andere mit ihren Problemen behelligen, die halte ich für rücksichtslos.

--

Zwar würde ich nicht sagen, dass ich uneingeschränkt mit dieser Aussage einer Meinung bin (immerhin ist Enzensberger 80, er darf sich wesentlich mehr erlauben), aber man verstehe sie als Lob der Heiterkeit!

05.08.2010

Einsamkeit und Sex und Mitleid / Helmut Krausser

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Seit längerem habe ich wieder ein Buch in einem Zug durchgelesen - es war spannend, lebendig, unterhaltsam, lesbar. Wir folgen einem satten Dutzend Figuren von Charlottenburg bis Neukölln quer durch Berlin. Versiffte Punks mit obligatorischer Ratte, der alternde Dr. mit seiner Kickbox-Geliebten, ein Callboy und eine Ex-Primaballerina mit Zuckungen, bekloppte Teenager und ein wirklich einsamer Lateinlehrer im Frühruhestand: Alle sind dabei und rühren kräftig in ihren eigenen und den Leben der anderen herum.

Dieses Berlin-Buch ist eine deutsche Antwort auf multi-narative Erzähltechnick wie wir sie aus Filmen wie L.A. Crash oder Magnolia kennen. Es ist sprachlich gewandt und konstruiert wie ein edle Armbanduhr: Alle notwendigen Rädchen greifen ineinander und das manche Fäden einfach ins Leere laufen ist eigentlich umso schöner. Meistens schafft Krausser, was mir in der aktuellen deutschen Literatur vielfach fehlt: Sprache und Inhalt sind authentisch (die Sprache von sogenannten Assi-Türken in Büchern nachzuahmen ist so eine Sache, wobei ich mir gut vorstellen kann, dass der Author, dessen enormer Fleiß durch alle Seiten weht, auch hier ganz genau recherchiert hat).

Ich kann nicht genauer beurteilen, ob Menschen in Deutschland tatsächlich so fühlen und leben, wie sie hier beschrieben werden: Es ist mein eigenes Lebensgefühl nicht - die sind mir alle zu hart, zu unnahbar und auf hoffnungslose, tiefe Art und Weise einsam.
Aber darum geht es ja auch nicht - auch wenn mir die Menschen übertrieben verkopft und hilf- und orientierungslos erscheinen, so fühlt sich doch die Gesamtheit der Geschichte echt an - echter als das meiste, was ich seit langem auf deutsch gelesen habe.

Der Titel wäre auch mit 'Einsamkeit und Sex' ausreichend. Von Mitleid merkt man nur manchmal dünne Ablagerungen zwischen den Zeilen. Aber er ist hymnen-musikalisch und schön. Gibt's bestimmt bald auch auf DVD.

03.08.2010

Frisch Gepresst

Das mit der Presse ist so eine Sache.
Ich war früher jemand, der nicht genug davon kriegen konnte, in Cafés, in Zügen, an Straßenecken, in Parks oder sonstwo zu sitzen und, am besten in Begleitung eines guten alten Pappbechers Kaffee Zeitungen oder Magazine zu lesen.

Mit der Zeit weniger geworden.

Hier drei Beispiele dafür, warum Presse nicht mehr so viel Spaß macht:

1. Horst Köhler

Noch immer klingen die letzten Wehen durch die Blätter. Vor einigen Tagen las ich einen umfangreichen Artikel, in dem der Autor versuchte, Köhlers Abgang zu verstehen. Das fiel ihm schwer. Dabei war Köhlers Begründung in ihrem Inhalt einfach und deutlich: Aussagen von ihm waren von der Presse verdreht und, motiviert vom Hunger nach verkaufter Schlagzeile groß aufgeblasen worden. Köhler wollte nicht mehr Präsident eines Landes sein, in dem derart miteinander und mit der Wahrheit umgegangen wird. Der Journalist wusste zu sagen, dass die Rücktrittserklärung sechs Sätze lang gewesen war. Mit keinem Wort jedoch bezog er sich auf deren Inhalt (der ja auch ihn betrifft), er spekulierte lieber über Verschwörungen und Geheimnisse im Schloss Bellevue, er spekulierte wild und poetisch. Aber kann es das sein?

Sicher. Es gab andere Gründe für Köhlers Rücktritt und von diesen werden wir, wenn überhaupt erst erfahren, wenn es zumindest die Schlagzeilen nicht mehr interessiert. Trotz allem war seine Aussage einfach und klar, tauchte aber in der Berichterstattung so gut wie nicht auf.

Warum? Weil sie der Presse, die leider viel zu oft schön daherreden, selten aber etwas sagen kann, ans Bein pinkelte. Es kommt mir so vor, als wären viele Journalisten schon so im Sumpft verdreht worden, dass sie nicht einmal bewusst am Thema vorbeirreden. Das beängstigt mich ein wenig.

2. Philip Lahm

Zum Ende der WM las man an allen Ecken und Enden von Machtkampf, Kapitänsfrage und Duell zwischen Lahm und Ballack.
Wer genau hinliest, oder wer über tatsächlich von Herrn Lahm getroffene Aussagen stolpert, der findet davon nichts. Er sagte, dass er den Job gerne macht und gerne weitermachen würde. Alles weitere wird hinein geblasen, weil es interessanter klingt und sich besser verkauft.

Natürlich ist es nicht ganz verkehrt, dass sich in dieser Frage ein Konflikt verbergen könnte. Aber er ist nicht ausgebrochen und er findet nur in den Köpfen der Leute statt. Da wird zusammenspekliert - und längst nicht nur vom Boulevard, sondern von allen. Es lässt sich weder beweisen noch leugnen und deswegen ist es erstmal wahr.

Was macht so etwas mit unserem Denken? Wir wissen kaum noch Dinge. Wer wirklich Einfluss hat, hat längst Verschwiegenheit gelernt. Otto Normal liest Spektulationen und darf sich einbilden, er wüsste was.

3. Love Parade

Auch hier wird von der Presse gebauscht, dass es weh tut.
Die steigende Zahl der Toten ist für Schlagzeilenschreiber ein Fest. Dass es erstmal keinen Schuldigen gibt: Umso besser! Da kann man getrost in alle Richtungen austeilen. Überhaupt der Volkssport des Beschuldigens. Die anderen sind immer dümmer als man selbst. Man hätte es bestimt besser gemacht.

Heute steht der Duisburger OB tatsächlich vor einer Abwahl. Fühlt sich nun irgendjemand besser? Ein trauriges Ereignis wird durch die nachfolgende Schreierei von allen Seiten nocht trauriger. Und die Art und Weise, wie gierig nach Schuld gesucht wird - wieder: beängstigend.

20.07.2010

Lasse

Leute, ich bin ein Schwein!

In den letzten Tagen bin ich einfach nicht dazu gekommen, mich dem Blog zuzuwenden - Arbeit am Schauspielhaus Köln, zwei Wochen Proben an einem neuen Tanztheater-Stück in Zusammenarbeit mit Oliver Möller, Rückkehr aus Norwegen und jetzt ein Seminar vom DRK:
Ich bin nur unterwegs.

Hier ist noch ein Nachschlag (nicht der letzte, es kommen noch ein paar Bilder) zu Norwegen. "Faen" heißt übrigens "Teufel" und wird ungefähr benutzt wie in Deutschland "Scheiße".



07.07.2010

Rasen

Mit WM und allem rasen die Tage. Ich bin seit Freitag wieder in Deutschland: Nach der norwegischen Ruhe weht mir die Hektik Kölns doppelt und dreifach ins Gesicht.

Allein der Verkehr: Die Belastung, welche Lärm und die besonders bei schwülem Wetter nur knapp unter der Oberfläche lauernde Aggressivität auf das Nervensystem ausüben, wird aus der Ruhe heraus deutlicher spürbar. Ich fahre mit dem Rad Richtung Innenstadt, hänge immer wieder lange an Ampeln fest, deren Schaltrhythmus mich von einem Rot zum nächsten leitet. Radfahrer schreien unachtsame Fußgänger an, Autofahrer passen nicht auf und überfahren mich beinahe, einmal schreie ich selbst, weil ein abbiegender SUV aus München ohne Rücksicht auf Verluste auf mich zuschießt. Offenbar bin ich laut genug: Die Fahrerin wendet erschrocken den Kopf und bremst. So viel Streß wie in den letzten fünf Minuten habe ich während der drei vergangenen Wochen nicht gespürt. Ich habe das Gefühl, mein Körper wird fünf Tage brauchen, um allein diese Spannung vollkommen abzubauen (und so geht es weiter).

Es wird bald noch mehr Bilder geben: Dann kann ich auch das neu gestrichene Haus in seiner Pracht zeigen..

Jetzt drücken wir erstmal die Daumen für die Mannschaft.

25.06.2010

Wer ist Wowe?

Auch jeder Nichtberliner kennt Klaus Wowereit. Genau! Der Typ, der sich damals als schwul geoutet hat - das ist schon lang vergangen und auch gar nicht mehr besonders interessant. Ich hab ihn einmal live erlebt, auf einer Jubiläumsfeier in Berlin.

Er kam mir damals sehr glatt vor - ganz anders als Horst Köhler, der ebenfalls eine kurze Rede hielt: Bei sachlich stabiler Mittellage war der Bundespräsident staubtrocken und unlocker - auffällig, wie er sich an seinen kleinen Zetteln festhielt, auf denen je ein Satz stand. Wowereit hingegen sprach schnell und ohne sich am Text festzuhalten, er bewegte sich hinter dem Rednerpult, er hatte Energie: Und massig Routine.

Benjamin von Stuckrad-Barre hat ihn vor einigen Jahren für eine Woche begleitet und aus seinen Eindrücken eine Reportage gemacht: Vorherrschender Eindruck: Die Terminfülle eines regierenden Bürgermeisters ist unglaublich. Zumal sich vieles buchstäblich auf dem Niveau vom Kaninchenzüchter-Verein abspielt.

Ein bißchen unglaublich ist auch Wowereits Biographie "Und das ist auch gut so". Dieses rasant lesbare Buch ist ein Stück kluge Selbstdarstellung, sicher. Gleichzeitig gibt es Einblick in den Berufsalltag eines deutschen Politikers, wie man ihn sonst nicht kennt. Die Motivationen, der Alltag, das Zustandekommen von Entscheidungen, der nervliche Druck, die Fülle verschiedener Aufgaben - die Medien.

Letztere bekommen besonders im letzten Kapitel des Buches, in dem Wowe es sich erlaubt, persönlichere Anliegen kundzutun, ihr Fett weg. Und sicher nicht zu unrecht: Denn vielleicht ist es mittlerweile nicht mehr falsch zu sagen, dass sich unsere Medienlandschaft schlechte Angewohntheiten zugelegt hat, die ihrem eigentlichen Teilauftrag, Demokratie fördernd zu wirken, entgegenstehen. Obwohl Wowe mit schier unerschöpflicher Enerige und Nervenstärke gesegnet ist, fühlt er sich stark eingeengt - macht er einen dummen Scherz in der Nähe einer Kamera, steht das am nächsten Tag völlig verdreht in der Zeitung (so geschehen z.B. mit einem Pump und einer Sektflasche).
Armer Wowe! wird nun der ein- oder andere antworten. Doch ich frage mich: Was wollen wir denn?

Die Politiker sollen den besten Job der Welt machen, sie sollen unbequeme Entscheidungen treffen, Mut beweisen am laufenden Band und natürlich superfit sein in allen Sachfragen - gleichzeitig bekommen sie beinahe aussschließlich Schelte und diese dann auch noch auf niedrigstem Niveau.

Bezeichnend Wowes Story, als er einmal nach Californien reiste, um Arni einen Besuch abzustatten und (durchaus wirkungsvoll) das Berliner Filmgeschäft anzukurbeln. Alle Berliner Zeitungen hatten ihm Journalisten zur Seite gestellt. Diese begannen sich nach dem zweiten Tag abzusetzen: Wowes Programm hieß nämlich wie üblich: Termine von ganz früh bis ganz spät. Da lagen die Texter dann lieber auch mal am Strand (vielleicht in der Hoffnung, Pamela Anderson käme vorbeigejoggt).

Die Berliner Zeitungen zeigten dann allerdings ein Bild von Wowe im Liegestuhl - und stellten ihn (nicht zum ersten Mal) als großen Urlauber dar: Wer von uns würde da seinen Humor behalten?

Interessant auch seine Aussage, die großen deutschen Zeitungen seien oft schlimmer als das Boulevard - von dem weiß man ja, was einen erwartet. Wenn aber in einer großen Wochenzeitung in langen Artikeln nichts steht als halbseidenen Annahmen - die allerdings klug formuliert auftreten und sich unter dem Deckmantel der Seriösität des Blattes von vorne herein eines nicht verdienten Respektes sicher sein dürfen, dann gebe ich eher ihm Recht, als den Journalisten.

In jedem Fall: Als Blick hinter die Kulissen der deutschen Politik-Szene eignet sich "Und das ist auch gut so" ganz bestimmt.

21.06.2010

Tourista


Ich bin derzeit in Norwegen. Übrigens: Heute um 13.28 ist Sommersonnenwende!


Aussicht von meiner alten Arbeitsstelle über den Mjøsa. Der weiße Fleck links im Wasser ist der "Skibladner", ein sehr alter Schaufelraddampfer.


Wanderung im "Totenåsen" - auch hier wunderbare Aussicht überall

Flechten zeichnen abstrakte Bilder auf Stein

Unsere Wegweiser

Wasserspiele

Seen dienen als Orientierungshilfe

Langsam, ganz langsam sinkt die Sonne

Schafe liegen schonmal gern mitten auf der Straße. Vor laufenden Menschen rennen sie weg - Autos hingegen werden nicht als Gefahr wahrgenommen

Wie die Schafe, so die Kühe..

14.06.2010

Erste Bilder aus N


Der Mjøsa, der größte Binnensee Norwegens aus der Richtung von Minnesund: Die Landstraße Richtung Lillehammer und Gjøvik führt etwa 20 Kilometer eng am Steilhang des Ufers entlang. Ich bin die Strecke zum ersten Mal selbst mit dem Auto gefahren - die Haltebuchten mit den besten Aussichten rauschten alle an mir vorbei.


Das Haus, in dem ich gerade wohne. Es gibt eine gemütliche Südterasse. Dort lässt es sich wunderbar lesen und in der Sonne braten. Zwei Katzen zur Gesellschaft, ein Klavier und hunderte guter Bücher. Diese Haus frisch zu streichen wird in den nächsten Wochen mein Job sein.


Dieses Bild habe ich nach 21 Uhr abends aufgenommen - da ist es noch immer taghell, auch wenn die Schatten schon lang sind. Die Gebirgskette hinten liegt beriets außerhalb des Sonnelichts - hell genug für einen Spaziergang ist es die ganze Nacht.

10.06.2010

Abendrot eingeholt

Flughafen Düsseldorf. Kurz nach 21 Uhr. Langsame Dämmerung. Vor mir blättert eine blonde Schöne im Handelsblatt. Ein kleines, afrikanisches Mädchen lächelt ihr zu. Der Vater der Kleinen sammelt sie im Vorbeigehen ein - sie sprechen eine klonkerige Sprache. Drüben zwei Hünen, große Männer mit breiten Schultern, Muskel-Armen und kantigen, gutaussehenden Gesichtern. Der eine hat langes, sonnengebleichtes Blondhaar, der andere erinnert an Tom Waits, trägt ein Cappi und hat ein blaues Auge. Wahrscheinlich ein Sportunfall - müssen Norweger sein.

Boarding Time. Alle stehen Schlange, außer die blonde Schöne, die zwei Typen und ich. Ein üblich schäl-nettes Dreierpaket sich laut unterhaltender Deutscher - die wollen unbewusst, dass alle mithören - sie sind so froh, dass sie nicht alleine sind.

Jetzt im Flugzeug. Edle Maschine, eine Boeing 737. Schwarze Ledersessel und ausklappbare Bildschirme von oben. Habe eine ganze Sechser-Reihe für mich, so leer ist es.

In der Nähe der dänischen Grenze. 7000 Fuß, 14 Grad, leichter Nordwind. Eine halbe Stunde vor der Zeit. Gerade fahren die Stewardessen mit ihrem Kaffee-Wagen vorbei. Ein hustende Inderin vor mir bestellt Cola mit Eis. Ich verkrieche mich ins Buch. Sie sprechen mich an mit 'Sir?' - fühle mich immer noch wie sechzehn.

Wir fliegen ins Licht. Im Norden ein heller Streifen zwischen Wolkendecke und dem nach oben dunklen Himmel. - Jetzt sieht man schon das erste Orange - als flögen wir in den Morgen, dabei ist die Sonne schon einmal untergegangen.

Jetzt Rot in den Wolken. Erst dachte ich, da unten stünde eine Hundertschaft dänischer Treibhäuser, aber nein: Wir haben das Abendrot eingeholt, es färbt die dünne Wolkenschicht unter uns, es breitet sich aus.

Tatsächlich taucht die Sonne auf. Erst ist sie verborgen von der Tragfläche, dann aber macht der Flieger einen Schlenker, der Flügel senkt sich und für einen Moment scheint sie mich an.

Als die Wolkendecke aufreißt und die Küste sichbar wird, sehe ich sie wieder - wir fliegen eine Kurve nach Westen - da schwebt dieser Wahnsinnsball orange-golden und so klar, wie es nur im Norden möglich ist leuchtend am Himmel.

Noch bevor wir Land überfliegen nimmt der Pilot das Tempo raus: Unter uns zeichnet sich die zerbröselte Linie des vertrauten, im Sommer so sanften Landes ins Wasser.

Teilweise bewölkt, leichter Nordwind, 13 Grad.

07.06.2010

Brüder müsste man sein

Aus dem Tagebuch eines Landstreichers:

Ich saß im Zug und dachte nichts Böses. Das tue ich in Zügen grundsätzlich nicht. Vielleicht sind böse Gedanken zu schwer und kommen mit dem Tempo des Schienenverkehrs nicht mit. Ich saß da also auf einer Treppe des RE-1 Doppeldeckers und hatte geschickt den Schienenersatzverkehr umschifft, der meine Hinfahrt um einige Stunden verlängert hatte.

Nicht immer so leer wie auf diesem Bild: der Regionalexpress

In meinem Gepäck befand sich eine Wasserwaage. Ein Meter, gelb. Vor mir eine Horde Bier saufender Männer in schwarzen Polohemden: Die waren gut drauf! Ich tippte auf eine Wochenend-Sauftour (es war Sonntag Abend). Die einen sangen aus voller Kehle und gar nicht schlecht, die anderen machten umliegende Frauen an, einer trank schon Wasser und der größte von allen versuchte, die zwei letzten gemeinsamen Kölsch in einer Kneipe am Deutzer Bahnhof zu organisieren.

Der mir gegenüber fand meine Wasserwaage sehr interessant. Sein Blick hing schon etwas schief, vielleicht wollte er deswegen alle zwei Kilometer wissen, ob noch alles im Lote sei. Immer mehr Leute quetschten sich in den Waggon, wir hatten eine Viertelstunde Verspätung. Hinter mir lachte ein Kind im Kinderwagen, oben auf der Treppe saß ein molliger Junge und tat tippte auf seinem Handy herum.

Der Organisator kam mit seinen zwei Kölsch so richtig nicht durch: Die Polohemden ließen Deutz links liegen, sie kamen aus der Eifel und wollten zurück zu ihren Ehefrauen. Mein Wasserwaagen-Fan gesellte sich zu mir und traute sich endlich zu fragen, was ich denn mit dem Ding wolle. Ich erzählte ihm natürlich eine wilde Lügengeschichte, die Wahrheit kann doch sowieso keiner vertragen. 

Seine Geschichte war auch viel interessanter: Die Polohemden, sechs an der Zahl, waren alle Brüder! Sie kamen frisch aus Halle an der Saale, dort waren sie (mit Begleitfahrzeug) 480 Kilometer Rad gefahren. Während in der Eifel die Sonne schien und die Ehefrauen sich in den Schatten verzogen, radelten die Männer durch neun Grad Kälte - das machen die jedes Jahr. Wahnsinn! Brüder müsste man sein!

01.06.2010

Hapes Welt

Momentan bin ich Arbeitende Bevölkerung. Morgens falle von der Tür auf die Straße und von der Straße in eine Bäckerei. Mit Brötchen und Kaffee stehe ich am Straßenbahnsteig vor dem 'Express'-Automaten. Jeden Morgen baut sich vor mir das gleiche Ensemble auf: Ein rauchender Business-Mann, dessen Herkunft ich auf Indien rate. Er raucht mit sehr viel Herz dabei, er zieht fest an den Kippen und umgibt sich mit Qualm, dass es eine Freunde ist.

Dann ein sportlich-schlanker Mann mit kurzen, graumelierten Haaren und sein Hund. Der Hund hat Handtaschenformat und eine graue Schnauze - sein Körper ist vor Alter schon ganz steif, oft hat er den Stummelschwanz zwischen die Beine geklemmt, so als wär ihm sonst kalt. Manchmal trägt er in der Schnauze ein völlig verquetsches Wollhäschen, sein Stofftier. Der Hund hält sich (wie viele Hunde) für einen Menschen. Die Töne, die er zu seinem Herrchen spricht, sind beinahe Worte - so deutlich.

Der Latinotyp ist auch dabei. Sehr selbstbewusst, die Haare zurückgestriegelt, ein großer Kopf, elegante Bewegungen und eine Handtasche, die zumindest wie Louis Vuitton aussieht. Er strahlt überlegene Gleichgültigkeit aus, das macht er auf den ersten Blick ganz gut. Als die Fahrkarten-Kontrolleure kamen, war er natürlich dran, aber auch dabei völlig entspannt. Sein Pass sah aus wie dreimal mitgewaschen.

Die Bahn fährt mich zur Arbeit, der gesamte Weg dauert eine Stunde. Ich habe viel Zeit zum Lesen - gerade ist mir Hape Kerkelings 'Ich bin dann mal weg' in die Hände gefallen.

Mit den Seiten wird es immer lesbarer und auch immer lustiger. Hape ist nicht nur aufgrund seiner bewundernswerten geraden Zielstrebigkeit ein so guter Komiker, sondern weil er die Welt immer mit lachenden Augen betrachtet. Nicht, dass er nicht traurig oder ernsthaft sein kann - im Gegenteil. Er versteht es bloß, zurückzukommen auf den Witz in allem. Und er kann Menschen dazu bewegen, ihre Geschichten zu erzählen: Diese Gabe hätte ich auch gerne!

Ich bin noch nicht fertig mit dem Buch. Ob er sich auf seinem Weg noch fragen wird, ob Gott etwas mit Humor zu tun hat?

Hier noch meine Lieblingszene aus Hapes Kinofilm "Kein Pardon" von 1993:

28.05.2010

Küchengespräch

Heute ein Küchengespräch, dass um das gleiche Thema kreiste, von dem ich am 13.05. weiteres Futter versprach:

Es ging um die Frage, wie man sich als Künstler, der viel Zeit und Energie auf Broterwerb, miete-bezahlen u.ä. aufwendet, am Ball hält, bzw. wie man es schafft, die wenige Zeit und Energie (beides ist niemals wirklich zu wenig) noch auf den Punkt zu bringen.

Ich hatte schon geschrieben, dass die manigfaltigen Ablenkungen, in meinem Fall zum Beispiel der Umstand, dass oft ganz einfache Computeraufgaben - wie heute das Versenden einiger Bilddateien per Mail - nicht einfach funktionieren, sondern immer wieder hängen bleiben und letzten Endes viel Zeit fressen, dass also manigfaltige Ablenkungen bestrebt sind, das eigentliche Ziel zu zersetzen.

So geht es ja nicht nur dem Künstler, sondern im Grunde steht jeder vor dem Problem: Was wir eigentlich wollen, wollen wir es nicht oft lieber als Traum behalten, der unberührt in der Luft vor uns schwebt? Besteht nicht die Gefahr, dass die Realität den Traum zerstört - und was machen wir dann, traumlos?

Dafür braucht man eine Ladung Vertrauen - erstens, dass es besser ist, einen Traum zu verwirklichen und zweitens, dass Träume stets neu geboren werden, dass sich immer neue finden lassen, wenn man nur dafür sorgt, sie zu verwirklichen (auch auf die, ebenfalls beängstigende Gefahr hin, dass sie sich als Schnapsideen erweisen und man schmerzhaft Abschied nehmen muss).

Vielleicht ist es so, dass wir Angst vor uns selbst haben. Das hat bestimmt mal ein schlauer Mensch gesagt.

Rilke fragte sinngemäß: Ich wollte immer nur ich selbst sein - warum war das so schwer?

Ist es nicht so, dass ein Ausleben der eigenen, der wirklich eigenen Wünsche uns zu uns selbst machen würde und dass wir genau das fürchten, weil es etwas endgültiges zu haben scheint? Ist es nicht einfacher, unbestimmt zu bleiben, verrückbar, jemand, der noch 'gerettet' werden kann von guten Ratschlägen? (Dabei schließt das eine das andere ja keineswegs aus, man hört nicht auf zu kommunizieren, nur, weil man sich ein Stückchen näher gekommen ist.)

Unser Küchengespräch jedenfalls handelte davon, dass es oft nicht so leicht ist, zu wissen, was man will. Dass einem die Gedanken dazwischen funken, dass das eigene Wollen gerne auch Winkel schlägt und sich verführen lässt. Wir spiegeln uns in unseren Mitmenschen - wir sehen unsere Wünsche in ihnen leuchten und verlieben uns gleich mal ein bißchen (zum Beispiel).

Wissen, nicht gedanklich erfassen, was im Bauch passiert. Und dem dann folgen. Hört sich leicht an, oder? Aber ich muss jetzt noch etwas an meinem Musikprogramm herumfummeln, das hat irgendein Problem.

27.05.2010

Für Schreibtischtäter

Für die Schreibtischtäter unter euch:

Bei Nissan ging gestern ein freundlicher, nicht mehr ganz junger Herr durch die Büros, der mir empfahl, meinen Monitor im rechten Winkel zu den Fenstern aufzustellen - es sei für die Augen sowohl wenig empfehlenswert, wenn hinter dem Bildschirm Tageslicht herein scheint, als auch, dass es von hinten kommt.

17.05.2010

Texte leben

Ich lese meine eigenen Texte vor Publikum. Texte, die teilweise mehrere Jahre alt sind, die ich hundertfach gelesen, beschraubt, gedruckt und gesprochen habe. Und doch: Bei jeder Aufführung, bei jeder offenen Probe hört man auch als Autor jeweils durch die Ohren der Zuhörer Neues heraus.

Habe ich das geschrieben? Fragt man sich manchmal. Manchmal wird mir das Thema eines Textes erst nach langer Zeit klar. Wie mein Kunstlehrer zu sagen pflegte:

"Man sollte nich zuhören, wenn Künstler über ihre Arbeiten sprechen. Die reden meist Blödsinn."

Spätestens im Herbst machen wir eine neue CD mit grandiosen Aufnahmen für alle!

16.05.2010

Unter Belastung

Worauf greifen wir zurück, wenn wir einen Menschen beschreiben wollen?

In den meisten Fällen wohl auf:

Herkunft (Geschichte) und Eigenschaften (Leistungen?)

Man kennt das aus amerikanischen Polizeifilmen - ein kleiner Fisch kommt ins Gespräch und wird kurz und knapp umrissen etwa mit:

Kommt aus dem Ghetto. Hat die Highschool abgeschlossen und ein Stipendium für ein Ostküsten-College bekommen. Jetzt arbeitet er in einer Anwaltsfirma in Miami. Hat immer noch Kontakt zu seinen alten Freunden. Steht auf Internet-Sex.

In meinem Alltag halte ich es schon lange so, Menschen erst fester zu beurteilen, wenn ich sie unter Belastung erlebt habe - denn ein freundliches Gesicht zu tragen, ist im Alltag leicht. Das blättert dann oft, wenn die Umstände kniffliger werden.

Letztlich fällt mir immer mehr auf, dass wir einer repetetiven Bindung unterliegen: Genauer analysierte Biographien ergeben Wiederholungsequenzen, die sich immer wieder abspulen. Soziale Gefüge formen sich in ähnlicher Weise aufs Neue. Hier will ich erstmal gründlicher nach Beispielen suchen, bevor ich etwas aufgreife, was hinterher nicht passt...

13.05.2010

Zeit

Immer wieder kreisen meine Gedanke folgende Frage:

Wie kann ich es schaffen, mehr Zeit mit kreativen Tätigkeiten zu verbringen. Namentlich Schreiben. Schreiben ist mir am wichtigsten. Ich liebe Tanz, Fotografie, Malerei und Holz, aber wenn ich mich entscheiden müsste, dann blieben am Ende die Worte übrig.

Zum Schreiben, zum kontinuierlichen Schreiben braucht man fortlaufende Konzentration. Die Geschichte, an der ich seit über einem Jahr arbeite, entsteht in kurzen, über den Monat verteilten Blitzlichtern: Immer ein Highlight meines Tages, doch immer auch schwer errungen.

Liegt es an mangelndem inneren Fokus? Es ist ja nicht so, dass innerer Fokus etwas wäre, was unsere Zeit einem vor die Füße wirft. Ablenkung ist massenweise zu haben an jeder Ecke. Dabei gibt es auch viele Formen der Ablenkung, die sich besonders schlau tarnen und dem nur zu bereitwillig unscharf gedrehteten Objektiv der Selbsterkenntnis entgehen.

Dieser Frage werde ich in den nächsten Tagen weiter nachgehen...

12.05.2010

Neustart

Mein bisheriger Blog findet sich auf meiner Homepage

www.maxpothmann.de/blog/index/html

Jetzt wird es wohl hier weitergehen..

Ich sitze gerade am Niederrhein, dort, wo im letzten Jahr noch mein Wohnwagen stand. Wenn man aus der Stadt kommt, ist das Konzert aus Vogelstimmen schier unglaublich laut und vielfältig. Alles ist grün, saftig, lebendig und völlig uninteressiert am menschlichen Tun.

Zur Zeit lese ich Cormack McCarthy 'The Crossing'. Nicht so sicher, ob das ein böses Buch ist. Auf jeden Fall hat es die Kraft, mich einzusaugen, wie es vielleicht ein, zweimal im Jahr vorkommt, wenn überhaupt.

Der 16jährige Billy reitet nach Mexiko und bleibt dort auf einer Art Don Quichote-ähnlicher Wanderschaft hängen. Einmal trifft er einen alten Indianer, der ihm zum Abschied folgendes mitgibt:

He told the boy that although he was huerfano (Waise) still he must cease his wanderings and make for himself some place in the world because to wander in this way would become for him a passion and by this passion he would become estranged from men and so ultimately from himself. He said that the world could only be known as it existed in men's hearts. For while it seemed a place which contained men it was in reality a place contained within them and therefore to know it one must look there and come to know those hearts and to do this one must live with men and not simply pass among them.


Später reitet Billy zusammen mit seinem jüngeren Bruder Boyd. Zwischen beiden liegt eine Welt unausgesprochener Erinnerungen und Gefühle, die nur von scharfen, das Verschwiegene umrahmenden Dialogfetzen angedeutet wird:

You think it's worse to be cold or to be hungry?
I think it's worse to be both.