Man legt ein Buch aus der Hand und ist glücklich, weil man es gelesen hat. Weil man es nicht verpasst hat. Weil man sich jetzt schon freut, es in einigen Jahren wieder zu lesen.
Ich bin mit Wolfgang Herrndorf nicht über seinen Bestseller Tschick in Berührung gekommen, sondern über Arbeit und Struktur. Der Autor führte von 2010 bis 2013 einen Blog mit diesem Titel. Um es platt zu sagen, wollte er damit das Ende seines Lebens dokumentieren. Man hatte einen Gehirntumor, ein Glioblastom, bei ihm diagnostiziert. Er wusste, dass er nicht mehr lange leben würde - zu Beginn seiner Aufzeichnungen ging er von einer Lebenserwartung von drei bis sechs Monaten aus. Diese Prognose erwies sich als nicht zutreffend. Und Herrndorf nutzte seine Zeit, um zweieinhalb Romane zu schreiben: Tschick, Sand und Bilder deiner verlorenen Liebe. Nach seinem Tod wurde auch der Blog als Buch veröffentlicht.
Nachdem ich Arbeit und Struktur einmal in der Hand hatte, hab ich es kaum noch weglegen können. Es sei hiermit wärmstens empfohlen.
Tschick hingegen, kurz nach Erscheinen in vieler Munde und bald in sehr vielen Bücherregalen zu finden, scheiterte beim ersten Versuch - vielleicht wegen der verschwurbelten ersten Seite, auf der Herrndorf, der seine Hausaufgaben gemacht und laut eigener Angaben den Fänger im Roggen sehr genau studiert hat, seinen Vorbildern deutlich weniger treu war, als auf den folgenden Seiten des Buches. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er auch Susan E. Hintons Die Outsider kannte und wenn nicht, dann soll ein Vergleich damit - nicht nur aufgrund der ähnlichen Grundstruktur - ein großes Kompliment sein.
Möglicherweise wird man irgendwann lesen können, Herrndorfs große Kunst liege jenseits der fast immer authentischen Jugendsprache im Schaffen von Atmosphäre. Die Reise von Tschick und Maik führt vom ersten Moment an durch eben genau dies: Eine dichte, wohlige, traumähnliche Atmospähre, eine Sommerwelt, die zu schön und abgefahren ist, um wahr zu sein, die doch eben genau so sein könnte und in die ich mich zurücklegen wollte wie in eine Hängematte.
Ebenfalls als Kompliment kann man den Vergleich mit Raymond Chandler auffassen, den ich hier spannen möchte: Zwar sind die Philip-Marlowe-Krimis einem völlig anderen Genre zuzuordnen, aber sie teilen diese Eigenschaft mit Tschick, fast könnte man sagen, sie stehen dafür: Ein Auto, dass neuen Abenteuern entgegen durch Atmosphäre rollt, die so dicht ist, dass man sie mit dem Küchenmesser in Scheiben schneiden und einwecken könnte.